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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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war. Der fahle Heilige in dem angelaufenen Rahmen über dem Bücherregal sah jedenfalls nicht aus, als freue er sich auf den Ort jenseits der Zimmerdecke, in dessen Richtung er den Blick erhob.
    »Die sehen ein bißchen neuer aus als das, was ich möchte«, sagte Melrose und strich über die brüchigen Buchrücken. »Ich handle mit alten Manuskripten. Aber ihr habt wohl keine?«
    »Sind Sie Engländer?«
    »Ja. Woran hast du das gemerkt?«
    »Daran, wie Sie reden.«
    »Damit verrät man sich doch immer wieder, stimmt’s?«
    »Ja.«
    Wenn sie doch aufhörte, seine rhetorischen Fragen zu beantworten. Sie nahm wahrscheinlich alles furchtbar wörtlich. Er schlug ein Exemplar von Peter Pan mit den Illustrationen von Arthur Rackenham auf. Der Umschlag war abgegriffen, und die Vorsatzblätter waren verkleckst, aber die Bilder wunderhübsch. Durch die perlgraublaue Morgen- oder Abenddämmerung von Kensington Gardens huschten Elfen.
    »Das ist mein Lieblingsbuch.«
    »Es ist sehr hübsch. Aber ich interessiere mich mehr für amerikanische Autoren.«
    »Ich war mal in England ... glaube ich«, fügte sie nachdenklich hinzu.
    »Wie? Du weißt es nicht genau?« Er wünschte, sie bliebe beim Thema.
    Sie stellte sich so hin, daß sie in das offene Buch in seiner Hand schauen konnte. »Das kommt mir bekannt vor.«
    »Es ist eine Statue von Peter Pan.«
    »Vielleicht habe ich mal davon geträumt.«
    Diesen Augenblick suchte sich der Ära aus, um zu krächzen. Es klang wie »Im-meer.«
    »Sei still«, sagte sie ziemlich streng zu ihm.
    Der verdammte Vogel hatte kapiert, daß er lebendig war, und entschied sich, diese Tatsache zu feiern, indem er immer wieder »Im-meer« krächzte, worin sich offenbar sein Wortschatz erschöpfte. Er putzte sich, flatterte mit den Flügeln und tanzte zur Melodie von »Im-meerimmeerimmeerirn-eer« auf seiner Stange herum.
    Meinte er, damit könne er jemanden dazu verleiten, ihm einen Keks zu geben? Nicht einmal der Kater war interessiert. Er schlummerte unter einer Tarnung von Lumpen und Kissen und ließ sich auch kaum stören, als das Mädchen ein großes blutrotes Stofftuch unter ihm wegzog und sich daran machte, es über den Käfig zu drapieren. »Wenn ich das nicht mache, schreit er immer weiter. Er soll eigentlich >nimmermehr< sagen wie der Rabe in Poes Gedicht, aber er kriegt immer nur >im-meer< zustande. Ein Freund von meiner Tante hat versucht, ihm das beizubringen. Hätte er ihn doch bloß in Ruhe gelassen!«
    Melrose kam zu dem Schluß, daß das Mädchen doch ganz vernünftig war, wenn sie die alberne Angewohnheit, Vögel sprechen zu lehren, so beurteilte. »Dann gehört dieser Laden deiner Tante?«
    »Ja, aber sie ist einkaufen gegangen.« Sie ging zu einer Truhe mit alten Jacken und längst aus der Mode gekommenen Roben und Gewändern. Ein altersschwaches, steifes weißes Hochzeitskleid raschelte. Sie nahm ein dunkelgrünes Samtkleid heraus, hielt es sich vor und begutachtete sich im Spiegel.
    »Und weißt du, wann sie zurückkommt?«
    »Erst in ein paar Stunden. Es ist ihr Einkaufstag. Ich muß den Laden machen.« Sie drehte sich, um zu sehen, wie der Rock wirbelte. »Seh ich aus wie Scarlett O’Hara?«
    »Nicht besonders. Also, was ist, habt ihr alte Manuskripte?«
    In ihrer Vom Winde verweht-Laune hatte sie kein Interesse an alten Manuskripten und verzog das Gesicht. Er hätte vielleicht sagen sollen, sie habe starke Ähnlichkeit mit
    Scarlett O’Hara. Es stimmte sogar, jetzt, da er sie wie durch das Stereoskop musterte, gab es eine gewisse Ähnlichkeit, denn sie hatte sehr dunkles Haar, eine leichte Stupsnase, und ihre Augen besaßen einen ungewöhnlichen Bernsteinton, wie die russische Bernsteinkette, die er auf einer Schmucklade gesehen hatte. Er nahm eine dunkelgrüne Haube und setzte sie ihr auf. »Jetzt aber. Jetzt siehst du aus wie Scarlett, meine ich. Wenn du das Band unter dem Kinn zusammenbindest.«
    Der Hut war viel zu groß und verdeckte ihr halbes Gesicht, aber sie schien es für eine großartige Idee zu halten und knüpfte das Samtband zu einer Schleife.
    Die diversen Standuhren begannen zu schlagen, eine immer den Bruchteil einer Sekunde nach der anderen, und sie sagte: »Zeit für den Tee. Vormittags trinken wir immer Tee. Sie wollen doch bestimmt auch welchen, wenn Sie Engländer sind. Ich setze nur den Kessel auf, bin in einer Minute zurück.«
    Er benutzte die Minute, um die Kiste, die sie geöffnet hatte, zu inspizieren. Leider fand er kein weiteres Manuskript von

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