Fremde Federn
Jury sah seinen Kopf knapp über die Tischplatte schauen. Etliche Möbelstücke waren in eine Ecke geschoben und mit Abdeckplanen belegt, weil auch dieses Zimmer renoviert werden sollte. In einer anderen Ecke lehnten Stuckteile von der Decke. Es sah nach Generalüberholung aus, sehr hinderlich beim Arbeiten, aber überaus angenehm, weil man ein Erkleckliches mehr an Zeit im Club verbringen konnte.
Cyril hatte nur Augen für das neue Faxgerät. Seit Racer Cyrils Thunfisch mit Beruhigungsmitteln gewürzt und ihn in ein Tierheim verfrachtet hatte, sah Jury förmlich, wie alle möglichen Vergeltungsschläge in Cyrils Kopf Gestalt annahmen.
Da saßen sie beide nun, und jeder für sich machte Pläne. Jury dachte wieder über eine eventuelle Versetzung in die Provinz nach und überlegte, ob er es Racer gegenüber erwähnen sollte. Bisher hatte er es noch niemandem erzählt. Macalvie, Northants und Superintendent Pratt, der Polizeibezirk Warwickshire und Stratford-upon-Avon kamen ihm in den Sinn. Er würde in Stratford haltmachen, bevor er nach Northants weiterfuhr.
Das Faxgerät piepte zweimal und fing an zu summen. Cyril stand sofort bereit. Schon war er auf dem Tisch und pirschte sich an den Apparat heran. Er und Jury beäugten das Papier und lauschten, wie das Gerät es Zentimeter für Zentimeter ausspuckte. Jury beugte sich darüber und las. Das Fax war vom stellvertretenden Polizeipräsidenten. Aber weiter kam er nicht, denn blitzschnell hatte Cyril es sich geschnappt und zu Boden flattern lassen. Dann blinzelte er Jury träge an, als harre er weiterer Vorschläge, die dieser bezüglich des Fax haben mochte. Jury zuckte mit den Schultern.
Cyril glitt vom Tisch, nahm das Papier zwischen die Zähne und zog es quer durch den Raum ins Vorzimmer. An der Tür blieb er stehen, als suche er das Büro nach Fiona ab, die sich offensichtlich mit ihrem Kulturbeutel zur Toilette bemüht hatte. Jury seinerseits bemühte sich zur Tür, um weiter zuzusehen.
Das Fax lag auf dem Boden unter dem schmalen Vorsprung des Wasserbehälters, auf dem der gefüllte Pappbecher stand. Der Kater vollführte eine rasche, ballettreife Drehung in der Luft und haute den Becher herunter. Jury und Cyril beobachteten, wie das Blatt sich voll Wasser saugte. Alsdann verarbeitete Cyril es mit Pfoten und Krallen zu einem matschigen Ball.
Herein marschierte Fiona. »War dieser Kater wieder am Wasserbehälter?« Sie deponierte den Make-up-Beutel auf dem Schreibtisch. Ihre Lippen schimmerten hellrot, die Lider beschrieben einen schwungvollen Bogen in den verschiedensten Blau- und Lavendeltönen. »Und Sie stehen einfach daneben?« Sie hob den Becher und den faserigen Papierklumpen auf und beförderte beides in den Papierkorb.
Kapitel 4/II
Racer schlug auf die Taste der Gegensprechanlage und blaffte Fiona an. »Hat der Stellvertretende nicht angerufen?« Als sie verneinte, erkor er Jury zum Objekt seines gereizten Mißfallens. »Wenn Sie Ärger vermeiden wollen, sollten Sie sich nicht hier rumtreiben.«
»Ich treibe mich auf Ihr Geheiß hier rum.« Wenn Jury auf dem Mond wäre, würde Racer ihn mit einer Raumfähre herunterholen lassen.
»Die Familie dieser Hamilton kennt den stellvertretenden Polizeipräsidenten. Darauf warte ich. Auf Informationen.«
Nun tat es Jury leid, daß er das Fax nicht gelesen hatte. »Na und? Ich kenne den Herrn auch, aber deshalb muß ich mich doch nicht gleich auf einen Fall ansetzen.«
»Einerlei, aus unerfindlichen Gründen - fragen Sie mich, verdammt noch mal, nicht, warum, Jury - will die Familie Sie.«
»Die Familie kennt mich nicht.«
Racers Erwiderung bewegte sich zwischen süffisantem Grinsen und affektiertem Lächeln. »Allem Anschein nach doch.«
»Ich kenne niemanden, der Hamilton heißt.«
»Es war ein anderer Name.« Racer hämmerte wieder auf die Gegensprechanlage ein und befahl Fiona, ihn mit dem Stellvertretenden zu verbinden. »Die Frau - eine Freundin von ihm - hatte einen Neffen, oder die tote Frau - Herrgott, ich kann mir nicht alle Einzelheiten merken -, der ir-
gendwo in der Nähe von Philadelphia ermordet worden ist. In den Staaten.« Racer suchte auf seinem Schreibtisch herum, schaute unter der Auflage nach. »Verdammt, wo sind die Flugtickets? Hier hatte ich sie. Und wo sind meine Farbproben? Die waren auch hier.«
»Ich komme nicht ganz mit. Was hat ein Mord in den Staaten mit uns zu tun?«
»Das Opfer ist hier geboren.«
»Und?«
Racer beendete seine Suche nach Flugtickets und
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