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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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oder Ärger.
    »In Anbetracht der Umstände sind Sie ja bester Stimmung.«
    »Welcher Umstände? Daß ich verloren habe, meinen Sie?«
    »Nein, nein. Aber Sie sind doch gewiß froh, daß Sie die Ermittlungen erst mal abschließen können.«
    Mehr aus Gewohnheit denn aus Verlegenheit kratzte sich Bannen mit dem Zeigefinger im Nacken. Nach einigem Schweigen sagte er: »Ich hätte es nicht so früh zum Prozeß kommen lassen sollen. Ich war voreilig.«
    »Sie. Das war doch nicht Ihre Entscheidung, es lag an der Terminplanung des Gerichts.«
    »Hmm. Ja, aber vielleicht hätte der Staatsanwalt eine Verschiebung in Erwägung gezogen, wenn ich sie angeregt hätte.«
    »Und nun?«
    »Ich mache natürlich weiter. Jetzt geht es darum, die Karten neu zu mischen.«
    »Halten Sie Jenny Kennington immer noch für schuldig?«
    »Sie?« Bannen schenkte Jury eins von seinen ironischen Lächeln. Sein undurchdringlicher Blick verriet nichts.
    »Mit den Eltern der kleinen Reese haben Sie gesprochen?«
    »Ja, natürlich, ganz am Anfang. Sie haben mich mit ihrer Aussage nicht gerade inspiriert.«
    »Haben Sie was dagegen, wenn ich mit ihnen rede?«
    »Nein, gar nicht, solange Sie mir alles Interessante mitteilen. Aber ich bin skeptisch.«
    Spalding lag etwa fünfzehen Kilometer südlich von Fengate und war das Zentrum der Tulpenindustrie. Ansonsten war es wie jede andere mittlere Kleinstadt. Um einen zentralen Platz beziehungsweise ein Stück grünen Rasen versammelten sich Läden und Büros, die unabdingbaren Pubs und Cafés, eine Post und ein Krankenhaus. Der Welland floß durch einen Teil der Stadt und schied den hinein- und hinausströmenden Verkehr. Seine grünen Ufer sahen aus wie eine Kurpromenade, wie man sie in Badeorten findet, in Harrogate oder Leamington, wo die Leute ehedem ihre müden Glieder in heilende Wasser tauchten.
    Die Familie Reese wohnte in einer Doppelhaushälfte mit einem tiefgezogenen spitzen Dach, das die halbrunden Fenster darunter fast bedeckte. Bis auf die Gartenzwerge sah es aus wie die anderen Häuser auf dieser Seite der Straße. Jury fragte sich, wes Geistes Kind man sein mußte, um Plastikzwerge und rosa Flamingos zu lieben, besonders neben Blumenbeeten, in denen in einem Monat flammendrote, aprikosen- und orangefarbene Tulpen glühen würden.
    An der Tür empfing ihn Mrs. Reese, mit der er schon morgens telefoniert hatte. Sie war eine nicht besonders hübsche, untersetzte Frau, der man sofort ansah, daß sie Dorcas' Mutter war, so sehr ähnelten sie einander. Sie gehörte zu den Hausfrauen, die streng auf Regeln halten. Sie bat ihn, vor dem Eintreten zuerst von dem Schuhkratzer und dann der Matte Gebrauch zu machen. Denn wenn er auch ein Superintendent von Scotland Yard war, so klebte an seinen Schuhen doch derselbe Schmutz wie an denen eines jeden Normalsterblichen.
    Im Verlaufe seiner Ermittlungstätigkeiten hatte Jury hundert Colleen Reeses kennengelernt. Aggressive, zänkische Frauen mit neugierigem Blick, aber geringer Intelligenz und roten Händen, die zuviel Geschirr abwuschen und das Haus zu sauber hielten, als daß man sich darin wohl fühlen konnte. Er schaute sich im Wohnzimmer um. Wie viele Male hatte er das schon gesehen: ausgebleichte Blümchenschonbezüge und -vorhänge, Regale mit buntem Porzellan, Fransenlampenschirme und glühende Plastickohlen in einem sauberen kalten Kamin, die vermutlich erst kurz vor seinem Eintreten illuminiert worden waren, um Strom zu sparen. Das Zimmer war kalt.
    Sie zeigte ihm, wo er sich hinsetzen sollte, und er ließ sich eine Tasse Tee und einen Keks geben, obwohl ihm eher nach starkem schwarzen Kaffee war. Zu seinem Pech kam hinzu, daß in diesem Haus geraucht wurde. Überall standen Aschenbecher. Angesichts Mrs. Reese' Reinlichkeitsfimmel überraschte ihn das. Aber vielleicht waren sie hier in der Raucherzone. Gerahmte Fotos zeigten Dorcas in verschiedenen Stadien ihres Lebens, und wieder wurde Jury abrupt darauf gestoßen, wie kurz dieses Leben gewesen war. Die von der Kamera eingefangenen Momente waren geisterhaft wie Schatten, flüchtig wie Licht.
    Jury kam sich ein wenig feige vor, als er merkte, wie erleichtert er war, daß der Tod des Mädchens einen Monat zurücklag und Colleen Reese die schlimmsten Tränen bereits vergossen hatte. Trotzdem wirkte sie auf ihn wie eine Frau, die sich nicht von ihren Gefühlen dominieren ließ.
    Sie sagte, sie habe den Burschen aus Lincolnshire (i. e. der Polizei in Spalding und der Kripo aus Lincoln) schon alles

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