Fremde Federn
Zustand ihres Knöchels.«
In dem offensichtlichen Bemühen, sich zu erinnern, schaute Dr. Leach zu Agatha. »Schrecklich war es. Schrecklich«, sagte er.
»Verstaucht, meinen Sie?«
Trueblood, Einspruch!!
Nun war Dr. Leach im Bilde und nickte heftig. »Nie was Schlimmeres gesehn. Nie.«
»Und was mußten Sie zusätzlich verordnen, nachdem Sie den Verband angelegt hatten?«
»Schmerztabletten. O ja, ihr ging's entsetzlich schlecht. Ich habe ihr gesagt, sie dürfe nicht laufen und müsse den Fuß hochlegen.«
»Wie lange war sie derart behindert, Dr. Leach?«
»Tagelang.« Dr. Leach dachte noch einmal nach. »Wochen -« Aber bevor er es in »Monate« verwandeln konnte, dankte Bryce-Pink ihm und sagte: »Ihr Zeuge, Mr. Trueblood.«
Trueblood erhob sich, kühl bis ans Herz hinan. »Für's erste keine Fragen.« Er setzte sich wieder.
Melrose hätte Trueblood am liebsten erwürgt. Gütiger Himmel! Das nennen Sie ärztliches Gutachten? Fragen Sie doch wenigstens nach den Röntgenaufnahmen!
Aber Eustace-Hobson befand, daß sie nun alle Lunch brauchten, schlug kurz mit seinem Hämmerchen auf den Tisch und bedachte Trueblood mit einem unendlich liebenswürdigen Blick. Zu diesem Zeitpunkt hätte dieser durch Nichterscheinen gewinnen können.
»Sie haben nicht mal den alten Leach befragt, das gibt's doch nicht!« rief Melrose. Da sowohl der Jack and Hammer als auch die Pubs in Sidbury außer Frage standen, hatten er und Trueblood den Blue Parrot aufgesucht. Hier würde sie niemand sehen -zumindest niemand, der noch recht bei Trost war, hatte Trueblood gemeint. Sie saßen so weit wie möglich von Trevor Sly entfernt, der aber ohnehin in der Küche ihren Lunch brutzelte.
Als Melrose merkte, daß er Trueblood nicht im geringsten aus dem Gleichgewicht bringen konnte, fuhr er fort: »Das Gedächtnis dieses Mannes ist atrophiert. Zuerst hat er nicht mal über Agatha gesprochen, sondern über einen Fall gelabert, der vermutlich fünfzig Jahre zurückliegt. Garantiert sein letzter - nein, das ist dieser hier.« Trevor Sly stellte ihnen ihr Essen hin. Was das wohl war? Melrose schob Trueblood das Kibbi-Bi Saniyyi - das angeblich arabische Gericht -hin.
»Vorsicht, die Teller sind heiß!« Die Topflappen von seinen zarten Fingern baumeln lassend, zog Sly sich summend zurück.
»Sie hätten Hackfleisch aus ihm machen sollen!« protestierte Melrose und deutete mit der Gabel auf Truebloods Teller. »Sie hätten Kibbi-bi-bla-bla-Mansch aus ihm machen sollen.«
»Kunststück«, sagte Trueblood, der sein Mahl ignorierte und sich eine türkisfarbene Sobranie anzündete. »Warum sollte ich mich auf das Niveau begeben, alter Kämpe? Das kann jeder.« Er inhalierte tief und blies den Rauch von Melrose weg.
»Sich auf das Niveau begeben? Wie bitte?« Melrose ließ sein Besteck fallen und hob die Hände gen Himmel. »Sind Sie des Wahnsinns fette Beute? Sie sollen Ada verteidigen!«
Trueblood schnipste ein wenig Asche von seiner Weste. »Dadurch, daß ich den armen alten Leach nicht mit Fragen durchlöchert habe, habe ich sehr menschlich gewirkt. Begreifen Sie das nicht? Ich meine, wenn ich es nötig gehabt hätte, diese Zeugenaussage in der Luft zu zerfetzen, hätte ich es getan. Aber ich hatte es nicht nötig.«
Melrose kostete vorsichtig ein Häppchen von seinem Lunch. Obwohl es Lammcurry sein sollte, war es, wie er vermutet hatte, Rinderhack. »Aber Sie nehmen ja überhaupt niemanden ins Kreuzverhör! Sie sitzen einfach nur da! Ich brauche Ketchup.«
Trueblood schob ihm die Plastikflasche zu. Sie hatte die Form einer Sphinx. »Sie kennen meine Sicht der Dinge ja noch gar nicht, alter Knabe. Warten Sie bis heute nachmittag. Ich wollte nur sehen, wie viele Eisen der alte Bryce-Pink im Feuer hat. Allem Anschein nach keins.«
»Keins? Mich! Und jede Wette, daß er mich noch einmal aufruft.«
»Ach, nun haben Sie sich mal nicht so! Trinken Sie ein Cairo Flame. Mr. Sly!«
38
Am nächsten Morgen saß Jury auf einer Bank in der Kripozentrale von Lincoln. Er wartete, daß Chief Inspector Bannen aufhörte zu telefonieren und ihn in sein Büro, genauer, an seinen Schreibtisch und das darum herum gruppierte Sammelsurium an Stühlen rief. Endlich legte er auf und winkte Jury zu sich.
»Mr. Jury, Sie sind ja immer noch hier!«
»Warum nicht? Es geht doch auch immer noch um dasselbe alte Problem, nur andersherum.«
Bannen lächelte. »Vielleicht. Schließlich kann sich Mr. Apted total geirrt haben.« Er zeigte keine Spur von Ironie
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