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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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erzählt, was sie von Dorcas wisse, aber da er, Jury, »ja nun Scotland Yard« sei, könne er vielleicht mehr damit anfangen. Eine weit großzügigere Meinung über Scotland Yard, als er gewohnt war.
    Wenn man über ein totes Kind sprach, siegten die Emotionen immer über die Wahrheitsliebe, und Dorcas' Mutter machte keine Ausnahme. »Sie war ein braves Mädchen, unsere Dorcas« war schon mehrere Male gefallen, seit Jury hier saß und seinen Tee trank. »Ein braves Mädchen«, sagte Colleen nun wieder. »Leider kann ich das von unserer Violet nicht behaupten.« Dabei lächelte sie aber anzüglich, als habe Violet ihre Schwester in irgendeiner Weise ausgestochen. Jury vermutete indes, daß Dorcas' Bravheit und Violets Mangel an ebendieser eher daher rührten, daß die eine tot war und die andere lebte.
    Colleen gab Jury eines der silbergerahmten Fotos, auf dem beide Mädchen abgebildet waren. Violet war hübscher, vermutete er, wenn auch nicht weniger langweilig. »Dorcas schüchtern, Violet nüchtern, das haben wir immer alle gesagt«, erzählte Colleen und vergaß nicht, ihn darauf hinzuweisen, daß es sich reimte.
    Jury lächelte. Es reimte sich zwar, entsprach aber kaum der Wahrheit. Wenn Dorcas eines nicht gewesen war, dann »schüchtern«. Er tastete sich vorsichtig an den Punkt der angeblichen Schwangerschaft heran. Da wurde Colleens Miene völlig ausdruckslos, sie zeigte keinerlei Gefühlsregung mehr.
    »Das paßte nicht zu unserer Dorcas.«
    »Das glaube ich Ihnen. Vielleicht war es nur -« Nur was? fragte er sich. Nur das Ergebnis einer Nacht? Ein Unfall? Kann die verlorene Welt der unschuldigen Kindheit überhaupt »nur« irgend etwas sein? »Schicksal«, beendete er den Satz.
    Jetzt wurde Colleen sehr kooperativ. »Genau das hab ich Trevor - das ist Mr. Reese - auch gesagt. Es hat so sollen sein, und wer weiß, vielleicht hat sie in ihrer Schwangerschaft ein Zeichen des Schicksals gesehen. Es erwischt immer die Guten, aber das wissen Sie in Ihrem Gewerbe ja bestimmt auch. Ich wollte gar nicht, daß sie obduziert wurde, weil ich nicht wollte, daß bekannt wurde, daß Dorcas -«
    »Aber nun wissen wir, daß sie nicht schwanger war.«
    Colleen preßte sich ein zusammengeknülltes Taschentuch vor den Mund. »Gut, aber warum sie gelogen und gesagt hat, sie wär schwanger, das versteh ich absolut nicht.«
    »Vielleicht hat sie nicht gelogen, vielleicht hat sie es wirklich geglaubt. Oder es war Wunschdenken oder ein Mittel, den Mann, in den sie sich verliebt hatte, dazu zu bewegen, sie zu heiraten. Der Trick ist ja nicht gerade neu.«
    Colleen rümpfte die Nase und setzte sich gerade hin. »Aber auch nicht sehr klug. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn das der Grund ist, warum sie umgebracht worden ist. Ich habe Dorcas immer gesagt, wenn sie weiter so rumspinnt, kriegt sie eines Tages die Quittung.« Wieder quollen die Tränen. Jury schob ihr die Schachtel mit den Papiertaschentüchern zu. Sie bedankte sich und tupfte sich die Augen ab. »Rebellisch war sie, unsere Dorcas. Immer die Grenzen ausprobiert.«
    Jury unterdrückte ein Lächeln. Colleen hatte wahrscheinlich Bücher über Pubertät gelesen. Doch Dorcas war ein bißchen zu alt dafür, ihre Grenzen auszutesten. »Inwiefern, Mrs. Reese?«
    »Sie wollte zum Beispiel nicht mit der Familie nach Skegness. Das machen wir seit fünfzehn Jahren jedes Jahr. Immer wenn Trevor Urlaub hat. Und Vi, jetzt, wo sie auch berufstätig ist. Es ist so eine Art Tradition, verstehen Sie? Wir haben immer dieselben Zimmer im Seagull's Rest. Mrs. Jelley sagt, sie meint immer, es sind unsere Zimmer, die von niemand anderem, und wenn wir dort sind, reserviert sie sie uns schon fürs nächste Jahr. Gleiches Zimmer, gleiche Verpflegung und nie mehr als hundertundsiebzig Pfund. Hochanständig, sage ich immer zu Trevor ...«
    Während sie sich lang und breit über die Vorzüge des Seagull's Rest ausließ, ging Jury durch den Kopf, wie unsäglich langweilig es sein mußte, derselbe alte Trott wie zu Hause, besonders für ein junges Mädchen, das in Discos gehen oder auf einer Kneipenterrasse ein Bier trinken möchte und Männer kennenlernen will. Natürlich blieb sie da lieber zu Hause, wo sie sich nicht ständig von Mami und Papi sagen lassen mußte, was sie zu tun und lassen hatte, und nicht mit Violet konkurrieren mußte. Daß Dorcas »revoltierte«, verstand er gut. Ausgerechnet Skegness. Da bliebe selbst er lieber zu Hause.
    »... und Dorcas war nicht so wie Violet. Unsere Vi

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