Fremde Federn
mit einem schwarzweiß gemusterten Boden. Offenbar befanden sich hier die überzähligen Stücke aus Max Owens Kollektion: Bronze- und Marmorbüsten in Nischen und Gemälde, Drucke und Reproduktionen an den Wänden. Melrose fand die Sammlung höchst willkürlich. Neben einem Matisse hing ein Landseer, ein Maler, den er nie begriffen hatte. Es handelte sich um eine Familienszene, unter anderem mit der jungen Königin Victoria, einem Herrn, den Melrose für ihren teuren Albert hielt, und einer Menge Hunde und toter Vögel. Einer der Sprößlinge sah aus, als sei er im Begriff, ein Federvieh zu rupfen. Melrose schüttelte den Kopf. Ohne Rücksicht auf Verluste schmissen die Viktorianer immer alles wild durcheinander. Das Bild hing über einer bauchigen Kredenz, auf der sich etliche Meißener oder Limoges-Porzellanfigurinen tummelten. Porzellan hatte er in Ardry End zuhauf, darüber wußte er ein wenig.
Zu seiner Rechten stand eine zweiflügelige Tür einen Spaltbreit offen. Er gab ihr einen vorsichtigen Schubs, trat ein und mußte erst einmal seine Augen an die relative Dunkelheit gewöhnen. Die Samtvorhänge waren nicht ganz geschlossen. Durch die schmalen Öffnungen drangen Lichtstrahlen.
Der Raum war nicht breit, dafür aber sehr lang. In Abständen waren einige lebensgroße Marmorstatuen aufgestellt. Alles Frauen, das heißt, alle weiblichen Geschlechts, denn einige waren Figuren noch recht junger Mädchen. Neben der Tür stand eine mit einer Haube und einem gefältelten Mieder. Sie war als einzige richtig viktorianisch gekleidet und streckte die Hände aus, als wolle sie Vögel füttern. Die meisten anderen waren im klassischen Stil gehalten, kaum verhüllt, bekränzt und alterslos. Sie standen nicht in Nischen wie die Büsten in der Eingangshalle und auch nicht in einer bestimmten Beziehung zueinander.
Wenn er einmal durch diese Galerie (das war sie offenbar) laufen wollte, mußte er um die Figuren herumgehen. An einer der Statuen in der Mitte, die von einem Streifen Sonnenlicht berührt wurde, meinte er das Funkeln einer goldenen oder silbernen Kette zu entdecken. Bei näherer Inspektion stellte er fest, daß er recht hatte. Jemand hatte ihr eine silberne Kette um den Hals gelegt. Nun schaute er sich die Damen in seiner Nähe genauer an. Auch sie waren mit Blumen, silbernen Halsketten oder Armbändern an ausgestreckten Armen geschmückt. Direkt neben ihm trug eine ein elfenbeinfarbenes Samtband um den Hals. Melrose lächelte. Die Person, die sich diesen Scherz erlaubte, würde er gern kennenlernen. Jury hatte gar keine Owenschen Kinder erwähnt.
Aber nicht nur acht, neun Statuen schmückten diese Galerie, an den Wänden hingen noch mehr und bessere Bilder, als die, die Melrose im Flur gesehen hatte, und überall standen Möbel, manche zierlich, manche protzig. Anrichten, Kleiderschränke, Kredenzen, eine Louis-quatorze-Kommode, üppig mit Vogel- und Blumenmustern verzierte japanische Lacktische. Ein wunderhübsches kleines Queen-Anne-Sofa neben einer weiteren bauchigen Kredenz, eventuell das Pendant zu der im Eingang. Bei den vielen Porträts handelte es sich wohl um Owensche Ahnen, oder aber sie waren irgendwo ersteigert. Auf einem Gemälde befestigten zwei kleine Mädchen Lampions in einem Garten. Beim Nähertreten erspähte Melrose den Namen des Künstlers: John Singer Sargent. Es war eine sehr feine Kopie, das Original kannte er aus der Tate Gallery.
Die ganze Kollektion war erstaunlich. Ihre willkürliche Zusammenstellung verriet eher den kunstbegeisterten Laien als den Experten, vielleicht würde es ja nicht so knifflig werden, wie er dachte. In einer Glasvitrine schimmerten verschiedene Glasgegenstände. War der Pokal nicht so ähnlich wie einer, den ihm Trueblood mal im Laden gezeigt hatte? Die Vitrine war nicht verschlossen, er öffnete sie und nahm das Gefäß heraus. Es war am Rand hübsch graviert, eine ländliche Szene mit einem Knaben und einem Mägdelein und ein paar Tieren, und alle jagten sie einander, wie das auf alten Gläsern und Urnen so üblich ist. Er hörte ein Räuspern.
»Ahem!«
Als er sich umdrehte, dachte er den Bruchteil einer Sekunde, eine der Statuen habe sich bewegt. Nein, am anderen Ende des Raumes stand eine Frau aus Fleisch und Blut. Ob das Hüsteln ihn warnen sollte, falls er das Glas stehlen wolle, solle er es lieber dann tun, wenn sie ihn nicht beobachtete?
»Mr. Plant? Ich bitte vielmals um Entschuldigung, daß ich Sie habe warten lassen. Ich habe mit der Kripo
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