Fremde Federn
Northants.« Das war eine gute, solide Gegend. Einen Burschen aus Northamptonshire brauchte man nicht zu beneiden. Aber ihre Blicke verrieten trotzdem Mißtrauen. Doch kaum hatte der Wirt die Getränke serviert, hellten sich die Mienen auf.
Die Frau, die einen tief über ihr spülwasserfarbe-nes Haar gezogenen Hut mit Plastikbeeren an der Krempe trug, sagte: »Da wolln Se wohl nach Spalding.«
»Nicht ganz. In ein kleines Dorf mit Namen Al-garkirk.« Er war froh, daß er sich hier noch auf sicherem Boden bewegte und wenigstens sein Reiseziel nicht erfinden mußte. Als eher vorsichtiger Taktierer wußte Melrose, daß sein Country-Outfit und das joviale Bierausgeben ein absolut durchsichtiges Manö-ver waren. »Muß eine Lieferung zu einem Haus namens Fengate bringen. Ein Möbelstück. Ich hab's draußen im Wagen.« Eifrig darauf bedacht, den Eindruck zu erwecken, daß er seine Brötchen im Transportgewerbe verdiente, deutete er mit dem Kopf in Richtung Parkplatz. Aber als der Rauch aus den diversen Zigaretten kräuselnd nach oben stieg und eine unter der Decke schwebende Wolke bildete, war ihm klar, daß seine Bemerkung sie kaltließ.
»Na, da sind Se doch goldrichtig. Das hier is Algarkirk.«
Warum interessierte es sie gar nicht, daß er direk-temang zum Schauplatz des Verbrechens fuhr? Warum erzählten sie ihm nicht von ihren spektakulären Morden? Er hob das Glas. »Prost!«
Während sie sich nun doch über dieses und jenes, das Wetter, die nächste Blumenparade und die Futtermittelpreise unterhielten, beschloß Melrose, das Haus, das er in der Nähe von Cowbit gesehen hatte, zur Sprache zu bringen. Er fing mit dem Namen an. »>The Red Last.< Merkwürdig, was? War es früher mal ein Pub?«
Ein junger Mann namens Malcolm sagte: »Na ja, es hat was mit Schuhen zu tun.«
Einmütiges Nicken. Dann sagte ein anderer: »Ay, trotzdem ein komischer Name für ein Pub. Hab noch nie so einen gehört. Du, Ian?« Sein Kumpel schüttelte den Kopf.
»Es ist das Ding, das sie benutzen«, sagte Malcolm, stolz, daß er mindestens so gebildet wie der Fremde war, »dieses hölzerne Ding, das die Form eines Fußes hat. Ein Leisten.«
Ein paar scherzhafte Bemerkungen über die diversen hier anwesenden Füße folgten, bis Ian, der es vermutlich leid war, daß immer nur seine Freunde im Rampenlicht standen, sagte: »Sie suchen also Fengate House? Na, da ist doch der Mord passiert.«
Wird ja auch langsam Zeit, dachte Melrose und wandte sich an die Frau mit dem Beerenhut. »Ein Mord?« fragte er erstaunt.
Die Frau umschloß ihre Gurgel mit den Händen und stieß etliche schaurige, erstickte Laute aus. »Wurde draußen im Fen gefunden. Hatte nur 'n Morgenmantel an.« Sie senkte die Stimme. »Sittlichkeitsverbrechen, heißt es.«
Empört über diese falsche Darstellung, sagte einer der Männer: »Von wegen Sittlichkeitsverbrechen, und sie hatte auch mehr als einen Morgenmantel an. Die eine is erschossen und die andere erdrosselt worden, die und Dorcas.«
»Herr im Himmel«, sagte Melrose. »Wollen Sie damit sagen, daß hier zwei Menschen ermordet worden sind?«
Alle nickten und freuten sich wie die Schneekönige, daß sie diesen Bier spendierenden Fremden vielleicht so lange bei Laune halten konnten, bis die Kneipe für den Nachmittag dichtmachte. »Ay, die warn beide aus Fengate. Die eine war die arme Dorcas, und sie hat hier auch gearbeitet, stimmt das nicht, Dave?« Der Mann sprach den Wirt an. Der nickte lächelnd und ging ans andere Ende des Tresens, um einen Gast zu bedienen. Der alte Mann berichtete weiter. »Die andere war hier zu Besuch, sie is zuerst gestorben.« Ah, wie genüßlich er das sagte! »Erschossen ham se se gefunden.«
Seine Kumpels nickten feierlich.
»Ja, und Dorcas, das arme Mädchen«, sagte die Frau, obwohl es nicht sehr mitleidig klang. »War erst zwanzig, die Dorcas. Warum wollte die jemand umbringen? Die hat doch keiner Fliege was zuleide getan.«
Nun stritten sie sich erst einmal über Dorcas' Alter. Ergebnislos. Jeder schien eine andere Zahl zwischen neunzehn und achtundzwanzig zu favorisieren, bis Dave zurückkam und dem Streit ein Ende machte, indem er ihnen erklärte, daß Dorcas zweiundzwanzig gewesen sei. Seinem Urteil beugten sich alle Anwesenden sofort, er genoß eindeutig ihre Achtung, was alle Themen betraf, von Malz bis Mord.
Als Melrose klar wurde, daß er selbst mehr über die Morde wußte als die Ortsansässigen, lächelte er und sagte, er müsse jetzt los. (Er vergaß aber nicht,
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