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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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wurde sehr traurig.
    Der Teppich in dem Zimmer, in das sie ihn führte, war aus Turkestan und vermutlich ein Vermögen wert. Zumindest hielt er ihn für einen Turkestan. Teppiche waren schrecklich verwirrend, erst recht nach seiner intensiven Lektüre. Dieser war bestimmt dreieinhalb mal sechs Meter. Die kräftigen Farbwir-bel trugen ebenso zur Wärme in dem Raum bei wie der knisternde Kamin. Es mußte die Bibliothek sein, sie war kleiner, heller, und nicht nur das Feuer und der Teppich strahlen Behaglichkeit aus, sondern auch die vielen Bücher an den Wänden.
    In der Mitte befand sich ein Flügel mit geschlossenem Deckel, auf dem Fotos standen, Atelieraufnahmen und Schnappschüsse in Holz- oder Silberrahmen. Eines ganz vorn schaute er sich genau an. Der junge Mann hatte Zaumzeug in der Hand, eine Pferdedecke über die Schulter geworfen und besaß eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Grace Owen. Er hatte ihren offenen, liebenswürdigen Ausdruck. Er mußte ein Verwandter sein.
    Grace sah, wie er das Foto betrachtete, und sagte: »Das ist mein Sohn Toby. Er ist tot.«
    »Oh ... das tut mir leid.« Das hatte Jury ihm nicht erzählt, vielleicht wußte er es gar nicht.
    Sie nickte, sah das Foto auch noch einen Augenblick an und fragte ihn dann, ob er Tee oder Kaffee . oder vielleicht etwas Alkoholisches wolle.
    »Kaffee wäre schön.«
    Neben dem Spiegel über dem Kamin hing zwar eine Glocke, aber sie benutzte sie nicht, sondern ging selbst. Melrose begab sich vom Flügel zum Fenster, das den Blick auf die Fens freigab. Auf dieser Seite waren keine Bäume. Er fand es sehr einsam und trostlos.
    Als Grace wiederkam, sagte sie: »Annie bringt den Kaffee. Sie ist unsere Köchin.« Sie stellte sich neben ihn ans Fenster. »Trist, was? Die schwermütigste Landschaft, die ich kenne. Sogar noch schwermütiger als die Hochmoore in North Yorkshire. Als ich das erstemal über eine von diesen Straßen gefahren bin, die hoch zum Fluß hinauf und dann darüberführt und man auf das weite Land herabsieht, dachte ich, die Welt sei auf den Kopf gestellt. An manchen Stellen sind wir sogar unter dem Meeresspiegel. Wo jetzt die Fens sind, war einmal das Meer. Früher haben sie das Wasser >Landvogt< genannt. Der Landvogt der Fens, da kommt er, kündigt sich nicht ein-mal an und vertreibt uns mit Sack und Pack.« Sie lächelte.
    Eine Weile schwiegen sie und schauten hinaus. Weit draußen ballten sich Wolken zusammen. Vorboten eines Sturms?
    »Sind Sie das ganze Jahr über in London?«
    Melrose wurde aus seiner schwebenden Stimmung gerissen. Er war plötzlich müde, bestimmt wieder, weil ihm die Bürde seines falschen Spiels zu schwer wurde. Er hatte ein Gefühl, als bringe es Unglück, Grace Owen zu belügen. »Ähm, ich habe ein Haus in Northants. In Long Piddleton.« Er sagte nicht, daß das Haus größer als Fengate und ein geor-gianischer Prachtbau inmitten von mehr als hundert Morgen grüner Wäldereien war. »Von daher kenne ich auch Marshall Trueblood. Dort hat er sein Geschäft.« Ein wenig besorgt fragte er: »Sind Sie schon mal in seinem Laden gewesen?« Plötzlich hatte er die alberne Vorstellung, daß Mrs. Withersby Putzeimer und Scheuerlappen im Jack and Hammer beiseite stellte, Grace am Arm nahm und hinterhältig auf ihn zeigte. »Vor dem da nem Se sich besser in acht, das is ein ganz Gerissener, der versucht bestimmt, Sie auszutricksen.« Er schüttelte die Vision ab. Nein, sie war nie in Long Pidd gewesen. »Max auch nicht. Der Händler - Trueblood? Heißt er so? - hat offenbar gehört, daß Max einen Gutachter sucht. Ich glaube, unser Mann von Scotland Yard hat es ihm erzählt.«
    Melrose lächelte, als sie Jury als »ihren« vereinnahmte. »Ich lebe die meiste Zeit in Northants, nicht in London.« Am besten spielte er sich soweit wie möglich selbst. Da mußte er weniger Lügen im Kopf behalten.
    »Aber das ist nicht Ihr Beruf?«
    Auf diese Frage reagierte Melrose sehr eigenartig. Ihm war, als sei alles darin eingeschlossen, die Umstände, denen sowohl ihre als auch seine Gegenwart hier in diesem Haus zuzuschreiben waren, das Haus selbst, die Morde, die sich unweit von hier ereignet hatten, vielleicht sogar der Tod ihres Sohnes und die Landschaft, die Fens. Als sei Melrose der Gutachter des Teufels und besäße die Macht, diese Dinge herbeizuführen. Wie der Leibhaftige selbst war er auf der Schwelle aufgetaucht. Oder der Landvogt der Fens ohne Vorwarnung. Wieder schüttelte er sich. Wieso wurde er auf einmal so

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