Fremde Federn
Gummibärchen, das ihm von so einer halben Portion geschenkt wurde, wer weiß was heraus, während er, Melrose, den ganzen Süßwarenladen versprechen mußte, um Informationen zu bekommen. Jurys Erfolge in dieser Hinsicht waren Melrose ein ewiges Ärgernis. Und meist hatte sogar er, Melrose, das Gör weichgeklopft (glaubte er jedenfalls gern), und dann kam Jury und erntete die Früchte. Unheimlich, was er für ein Händchen hatte, sich in ihre kleinen Herzen und Köpfe zu schmeicheln. Melrose kam normalerweise nicht über das Stadium »Wir kaufen nichts!« hinaus.
Peter Emery war aus der Küche getreten; Melrose erblickte nun einen schneeweißen Aga-Herd. Er hätte nicht gemerkt, daß Emery blind war, denn dieser lenkte seinen leeren Blick in Richtung der Stimme und sogar hinunter zu dem Hund, der jetzt kläffte. Er bat Zel, Kaffee zu kochen. »Zel, die kocht den besten Kaffee in Lincolnshire.« Sie strahlte beim Lob ihres Onkels. »Und bring ein paar von den Keksen mit, die du gebacken hast. Sie ist eine erstklassige Köchin, und ich liebe gutes Essen. Sie hängt ja auch ewig und drei Tage in Major Parkers Haus rum. Da hat sie kochen gelernt.« Dann fügte er hinzu: »Aber wenn Sie lieber Tee möchten, ich glaube, das Wasser kocht gleich.«
»Nein, nein, Kaffee ist wunderbar«, sagte Melrose. Und als habe Peter Emery nicht nur seine anderen Sinne verfeinert, sondern die verlorene Sehkraft auch durch das zweite Gesicht ersetzt, pfiff prompt der Kessel.
Gehorsam, ja, beinahe fröhlich ging Zel in die Küche. Und nachdem Melrose sein einleitendes Verslein hergesagt hatte, daß er bei den Owens zu Gast sei, um Max Owens Kollektion anzuschauen, ließen sie sich zu einem richtigen Gespräch nieder. Das heißt, die meiste Zeit sprach Peter. Melrose begnügte sich mit der Zuhörerrolle. Deshalb war er schließlich hier.
Peter hatte fast sein ganzes Leben in Lincolnshire verbracht, außer ein paar Jahren in Schottland, wo sein Onkel Verwalter auf einem großen Gut in Perthshire am Fuße des Glenolyn gewesen war. Das Anwesen umfaßte Hunderte Morgen mit Moorhühnern, Rot- und Schwarzwild. Man konnte Pirschjagden und Treibjagden veranstalten und in glasklaren Flüssen angeln. Der Onkel hatte ihn fischen und jagen gelehrt. Bevor »das hier« passierte - ungehalten stach er sich fast in die Augen - war er einer der besten Schützen der Grafschaft gewesen: »Verdammt ärgerlich.« Dann fuhr er fort: »Die meisten Leute finden das Land hier, die Fens, eintönig, weil weit und breit alles platt ist. Ich bin immer wieder erstaunt, daß die Leute so oft nur eine Vorstellung von Schönheit haben. Nur in den dämlichen Alpen wissen sie die Berge zu schätzen. Warum haben sie keinen Blick dafür, wie geheimnisvoll der Nebel urplötzlich runterkommt, oft so dicht wie eine Mauer?«
Wahrscheinlich hatte Peter Emery selten Zuhörer, wenn er in seinen Erinnerungen schwelgte. Melrose schwieg und ließ ihn reden. »Mein Vater hat so manche Überschwemmung erlebt. Ich kann mich an eine erinnern, da war ich vielleicht fünf oder sechs. Da brach der Deich drüben am Bungy Fen. Obwohl sie alles taten, um ihn zu halten, er brach, und im Handumdrehen stand das ganze Land vier Meter unter Wasser. So weit das Auge reichte, sah man Wasser, ein riesiges Meer. Unser Getreide, die ganze Gerstenernte meines Vaters, schwamm munter davon, sogar die alte Vogelscheuche aus dem Feld tanzte auf den Fluten. Da trudelte sie daher - war das ein Anblick! Wir hatten ja einen Stechkahn, aber der blieb hängen, und mein Daddy setzte uns in einen großen Zinnwaschzuber. Ich als Kind fand das natürlich toll. Der Stechkahn ging schließlich auf Grund, so daß wir ihn wiederbekamen. Der da draußen«, er deutete mit dem Kopf dorthin, »das ist er. Ich habe ihn die ganzen Jahre behalten.« Er beugte sich vor und sagte fast aggressiv: »Lassen Sie sich eins gesagt sein: Man darf sich den Naturgewalten nicht beugen. Die Natur ist hart, also muß man selbst noch härter sein.«
Melrose hörte gespannt zu, fasziniert von diesem immer noch jungen, aktiven Mann, der seine Blindheit als »verdammt ärgerlich« bezeichnete und in seiner Hybris Gott und die Natur herausforderte. Vor seinem inneren Auge sah Melrose Emery wie in einer Shakespeare-Tragödie blind über die Heide stürmen.
Zel riß ihn aus dieser hochdramatischen Phantasie. Durch wundersame Wandlung nun ganz sanft, servierte sie den Kaffee. Er war exzellent, und das Shortbread dazu zerschmolz ihm im Mund und
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