Fremde Federn
in Falten und knipste den Feuerzeugdeckel immer wieder auf und zu. »Sie hat jung - mit neunzehn, zwanzig - geheiratet, und Toby wurde ein paar Jahre später geboren. Er ist mit zwanzig gestorben.« Max lehnte sich bekümmert zurück. »Erst zwanzig. Er hatte einen Reitunfall. Er ist vom Pferd gefallen -« Mit dem Kopf deutete er auf einen unbestimmten Punkt vor ihnen in der fernen Landschaft. »Dort draußen. Für die meisten Reiter hätte es gar keine ernsten Folgen gehabt, aber Toby war Bluter. Er starb an inneren Blutungen.« Max schüttelte den Kopf. »Grace wollte nie, daß er ritt. Aber was soll man machen? Man kann doch einen Jungen nicht wie ein Wickelkind behandeln und ihm alles verbieten. Er ritt gern, obwohl ihm der Umgang mit den Pferden nicht leichtfiel. Schon als kleiner Junge ist er mit zur Jagd geritten. Da wohnten sie in Leicester. Das ist gar nicht weit von hier. Grace behauptet, er hätte nie richtig auf dem Pferd gesessen. Trotzdem ...« Hilflos zuckte Max mit den Achseln, er schaffte es nicht, seinen oder Grace' Kummer in Worte zu fassen. Dann schwieg er.
»Das tut mir leid«, sagte Melrose, auch er hilflos.
»Wissen Sie, ich glaube, deshalb mag sie die Galerie so sehr. Durch die Fenster kann sie auf das Wäldchen schauen. Vielleicht sieht sie ihn dort, ich weiß nicht. Da draußen im Nebel.« Er stand auf, die Zigarette im Mund, als habe er sie vergessen, und bückte sich, um das lackierte Oberteil des Sekretärs zu betrachten. Mit dem Daumennagel kratzte er an einer Stelle. Dann richtete er sich wieder auf, erinnerte sich an die Zigarette und drückte sie im Aschenbecher aus. »Das Pferd war von mir. Ich hatte es ihm zu seinem neunzehnten Geburtstag gekauft. Von Parker, der damals noch ein paar Pferde hielt. Es war das Tier, das ich ihm geschenkt hatte.«
»Aber offenbar hatte er doch mit jedem Pferd Probleme - nicht nur mit dem, das Sie ihm geschenkt haben.«
»Ja.« Max steckte die Hände tief in die Taschen und sagte: »Trotzdem frage ich mich immer, ob sie mich nicht doch irgendwie dafür verantwortlich macht. Nicht ein unergründliches Schicksal, sondern mich.«
»Sie kommt mir aber nicht vor wie ein Mensch, der immer einen Sündenbock braucht«, sagte Melrose.
»Nein.« Max drehte sich um und lächelte ihn an. »Da haben Sie recht.« Und nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: »Das arme Mädchen.«
Genau das hatte Grace zum Tod von Dorcas Reese gesagt.
Plötzlich kam Bewegung in Max, und er forderte Melrose auf, mit ihm in die Galerie zu kommen. Ach verdammt, dachte Melrose, doch wohl hoffentlich nicht zum Bilderschätzen.
Nein, das nicht. Max wollte nur über sie reden, er wollte, daß ein neues Paar Augen sie anschaute. Melrose folgte Max bei seinem Gang an einer kleinen Picasso-Skizze vorbei, ein paar sehr schönen Landschaften und einem annehmbaren (aber gewöhnlichen) Landseer, dann an etlichen Porträts. Vor einem Bild blieben sie länger stehen. Es handelte sich um die reizende Studie der zwei Mädchen in dem Garten, die Lampions anzündeten. Sie war Melrose ja schon gestern aufgefallen.
»John Singer Sargent«, sagte Max. »Natürlich nicht das Original. Das ist in der Tate. Es ist aber eine hervorragende Kopie. Der Kopist hat nichts von dem Licht verloren.«
Zarte gelbe Lichtkegel schienen von unten aus den helleuchtenden Papierlaternen auf die Gesichter der beiden Mädchen. Melrose sagte: »Ich kenne nur die sehr formalen Porträts von Sargent. Diese Art Studien nicht.«
»Nelken, Lilien, Lilien, Rosen«, heißt es. Dann rezitierte Max:
»Habt ihr gesehn, wo Flora ist?
Nelken, Lilien, Lilien, Rosen .
Mir gefällt es. Welche ist Flora, was meinen Sie?«
Melrose lächelte. »Oder Lilly? Oder Rose?«
Den Blick noch auf das Bild gerichtet, sagte Max: »Grace war auf meine erste Frau nicht eifersüchtig. Ich hatte das Gefühl, daß dieser Kripobeamte aus Lincoln meinte, Grace hätte sie hassen müssen. Grace haßte sie nicht, ich glaube, sie hatte sie sogar gern um sich.«
Konnte er es wagen? Melrose versuchte beiläufig zu klingen. »Und die anderen?«
Max schaute ihn an. »Parker? Jack?«
Melrose zuckte die Achseln. »Ich dachte nur .« Er beendete den Satz nicht.
Aber Max schien die Frage gar nicht seltsam zu finden. »Sie haben Verna natürlich beide gekannt. Sie hat ja mehrere Jahre hier gelebt.«
»Aber haben sie sie gemocht?«
Max lachte. »Herrgott, nein. Keiner von beiden. Verna war eine eigenartige, böse Frau. Es war leicht,
sie zu hassen, wenn
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