Fremde Federn
lenkte seine Gedanken von Shakespeare zu Proust. »Oh!« rief er. »Das ist das beste Shortbread, das ich je gegessen habe!« Und er übertrieb nicht. Aber das Rezept könne er nicht haben, kokettierte Zel, das sei geheim.
Nachdem sie mit dem Kaffee und den Keksen schon gewaltig Eindruck geschunden hatte, wollte sie noch einen draufsetzen - sozusagen als Chefin, die den Laden hier schmiß. Sie holte Besen und Lappen und begann die Bücherregale abzustauben.
Peter erzählte weiter von der Farm seines Vaters. Er allerdings habe die Landwirtschaft nie sehr gemocht, sagte er, nur zur Jagd sei er schon immer gern gegangen. Melrose teilte diese Begeisterung keineswegs. In eisiger Morgendämmerung den Fasanen im Feld aufzulauern, stundenlang in einem alten Stechkahn auf dem Bauch zu liegen und zu warten, daß Vögel aus dem Wasser stoben und gen Himmel flatterten - das war seine Sache nicht.
Dennoch zögerte er, das Gespräch auf die Morde zu bringen, solange das Mädchen noch in Hörweite war. Er fragte, ob er wohl noch ein Shortbread haben könne. Sie ging es holen.
»Wenn Sie die Owens kennen -«, begann Melrose.
»Ja doch, ich kenne sie«, sagte Peter. »Großartige Menschen.«
»Kannten Sie dann auch ... kannten Sie auch diese Dunn?«
»Selbstverständlich«, sagte Emery brüsk und stand auf, um sich am Feuer zu schaffen zu machen, das aber schon so gut zog, daß die Flammen hochschlugen. Vollkommen sicher langte er nach dem Schüreisen und hob damit ein Scheit an, das zerbröckelte und Funken sprühte. Dann stellte er das Schüreisen wieder weg, kehrte zu seinem Sessel zurück und schwieg.
Schweigen zu interpretieren war schwierig, wenn man nicht von der Kripo war, aber Melrose tat sein Bestes. Mit einem gekünstelten Lachen sagte er: »Klingt ja nicht, als hätten Sie sie sonderlich gemocht.«
»Ay, da haben Sie recht.«
»Sie waren auch nicht der einzige.«
»Das will ich meinen. Hat dauernd Ärger gemacht, die Frau.«
Zel kam mit dem Shortbread, und sie verstummten beide.
»Wenn der Keksbäcker Ihrer Majestät der Königin von diesem Shortbread Wind kriegt, mußt du das Geheimnis preisgeben.«
Zel nahm das Kompliment errötend entgegen und fuhr mit dem Hausputz fort, als wollte sie deutlich machen, daß sie ihre Tage nicht mit müßigem Geplauder vor dem Kamin vergeudete. Melrose kam kaum mit: Zel wischte Staub, Zel fegte unsichtbaren Schmutz aus der Cottagetür - damit er, bitte schön, kapierte, daß er den mit hereingetragen hatte -, Zel rückte Dinge auf den Regalen zurecht, Zel erzählte dem Hund Bob, er bekomme gleich sein Abendessen (und belehrte ihn gleichzeitig über gesunde Ernährung).
Es war auf angenehme Weise ermüdend. Nachdem sie ihre diversen Pflichten erledigt hatte, pflanzte sie sich zwischen die beiden Sessel und lehnte sich schwer auf Melrose' Lehne. Nun hatte sie ein Ruhe-päuschen verdient. Sie beschäftigte sich hingebungsvoll damit, kleine Fetzen von der Lokalzeitung abzureißen, die sie zu winzigen Kugeln rollte und in ihrer Pullovertasche verschwinden ließ. Diesem Zeitvertreib frönte sie während der zehn Minuten, in denen Melrose und Peter sich über Jagen und Schießen und altmodisches Punten unterhielten. Fünf Minuten länger, und Melrose' Bereitschaft darüber zu reden wäre erschöpft gewesen.
Da er aber in seiner Eigenschaft als Antiquitätenexperte sein Verweilen im Cottage nicht ewig rechtfertigen konnte, beschloß er, das Thema Dorcas Reese auf später zu verschieben. Er sagte, er müsse gehen, schließlich warte in Fengate Arbeit auf ihn. »Die Owens werden sich schon wundern, wo ich abgeblieben bin.«
Emery wollte sich erheben, aber Zel schob ihn zurück in den Sessel. Was wohl mehr dem Bedürfnis entsprang, Melrose zur Tür zu begleiten, als ihrem Onkel den Weg abzunehmen.
Sie rannte zur Tür, Bob war ihr dicht auf den Fersen. Draußen auf dem Weg schaute sie zum Himmel. Im Westen war eine blauschwarze Wolkenbank heraufgezogen.
»Regen«, sagte sie. »Sie werden naß.« Sie kippelte auf den Absätzen, legte die Hände auf den Rücken und schlug sie leise aufeinander, ganz in der Pose eines alten Menschen, der gewichtige Gedanken hegt. »Wo wollen Sie hin?«
»Nirgendwo Bestimmtes.« In Wirklichkeit wollte er zu dem Kanal im Wyndham Fen, wo Dorcas Reese' Leiche gefunden worden war. »Willst du mitkommen?«
»Nein. Über den Weg geh ich nicht.« Resolut verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte ihn herausfordernd an, als sei sie zu jeder
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