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Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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scharfer Stimme. »Ich werde eines Tages in der Lage sein, ihm alles zurückzuzahlen.«
    »Von der Sozialhilfe, die du bekommst?«
    »Wenn ich wieder gesund bin, werde ich eine Ausbildung machen.«
    »Als was?«
    »Das wird sich finden, auch wenn du es mir nicht zutraust.«
    »Du hast dein Leben lang immer wieder was Neues angefangen, ohne jemals eine Sache zu Ende zu bringen.«
    »Die Krankheit hat mich verändert.«
    »Vielleicht.«
    »Kannst du nicht etwas zuversichtlicher sein?«
    Merle ruft unsere Namen.
    Wir blicken hoch. Sie kommt auf uns zugelaufen, bleibt plötzlich stehen, schlägt ein Rad und gleich darauf noch eins und noch eins.
    »Das hab ich nie gekonnt«, sagt Lydia und nimmt Merle in die Arme. »Wo hast du das gelernt?«
    »Hat Elisa mir beigebracht.«
    »Kann ich Elisa auch mal kennenlernen?«
    »Sie ist gestern nach Spanien geflogen. Mit ihrem Papa und … und der anderen Frau und dem Baby.«
    »Wann kommt sie wieder?«
    »Wenn die Ferien zu Ende sind. Sie hatte gar keine Lust zu fahren.«
    Weder Lydia noch ich fragen, warum Elisa keine Lust hatte. Lydia schlägt auch nicht vor, dass Merle sich eine andere Freundin mit glücklich verheirateten Eltern suchen soll. Sie wirft mir nur einen kurzen Blick zu, in dem etwas Alarmiertes liegt. Vielleicht befürchtet sie ein Gespräch über Väter. Ich zucke leicht mit den Achseln. Das Thema werde ich Lydia überlassen.
    »Was ist?«, fragt Merle.
    »Nichts«, antworten wir beide.

24.
    M ein Blick fällt auf den Wecker. Viertel nach neun. Wir haben verschlafen. Ich springe auf, laufe in die Küche. Merle sitzt am gedeckten Tisch.
    »Warum hast du mich nicht geweckt?«
    »Heute sind Ferien.«
    Ich sinke auf einen Stuhl.
    »Backen wir Mama nachher einen Kuchen?«
    Ich nicke.
    »Schokoladenkuchen mag sie am liebsten.«
    Wir frühstücken. Merle hat noch andere Pläne, wie sie die Entlassung ihrer Mutter feiern will. Eine Blume für das neue Zimmer, eine Kerze, ein Bild.

    Das Telefon klingelt. Ulrich will wissen, ob Ann-Kristin um drei zu uns kommen kann. Der Babysitter ist krank, Esther hat bis abends eine Redaktionssitzung, er wird nicht vor acht Uhr zu Hause sein. Ich zögere. Merle und Ann-Kristin haben sich seit dem verunglückten Nachmittag nicht gesehen.
    »Bist du noch da?«
    »Ich überlege …«
    »Es passt dir also nicht.«
    »Merle und ich müssen nachher Verschiedenes vorbereiten. Meine Schwester wird morgen bis auf weiteres aus dem Krankenhaus entlassen.«
    »Zieht sie zu dir?«
    »Nein. Der Sozialdienst des Krankenhauses hat ihr ein Zimmer in einer Wohngruppe vermittelt.«
    »Ah, ja … der Sozialstaat macht’s möglich.«
    »So ist es.«
    Ich ärgere mich noch über die Bemerkung, als ich längst aufgelegt habe.
    Es geht nicht um den Satz als solchen. In einem anderen Zusammenhang hätte ich dasselbe sagen können. Mich ärgert die Erwartungshaltung, dass ich für meine Schwester sorgen soll. Esther hat neulich im Restaurant auch darauf angespielt. Die beiden haben gut reden, Ulrich ist Einzelkind, Esthers Bruder ist tot.

    Die Wohnung liegt im dritten Stock eines Backsteinhauses aus den fünfziger Jahren. Hell, sauber, Sozialstaat, denke ich. In Lydias Zimmer gibt es ein Bett, einen Schrank, einen Tisch, zwei Stühle. Sogar ein eigenes Duschbad und eine Kochecke. Eine Konfliktquelle weniger.
    Lydia wirkt sehr lässig, wie sie durch ihr Zimmer geht, die Küchenutensilien betrachtet, den kleinen Kühlschrank öffnet, die Matratze ausprobiert.
    »Nicht schlecht«, murmelt sie.
    »Du kannst deine Tür abschließen«, ruft Merle und zeigt auf das Sicherheitsschloss.
    »Wär auch schlimm, wenn ich das nicht könnte.«
    »Außer Ihnen wohnen hier noch drei Frauen«, sagt die Sozialarbeiterin. »Eine ist zurzeit im Krankenhaus. Sie sind zwischen Ende zwanzig und Anfang vierzig. Wir achten darauf, dass der Altersunterschied nicht zu groß ist.«
    »Mir ist es ziemlich egal, mit wem ich zusammenwohne«, verkündet Lydia. »Hauptsache, ich habe mein eigenes Zimmer.«
    Wir werfen einen Blick in den spärlich möblierten Gemeinschaftsraum. Wenigstens gibt es einen Raum, in dem Merle sich aufhalten kann, wenn ich künftig mit Lydia allein etwas besprechen muss.
    Die Sozialarbeiterin verabschiedet sich. Merle tritt von einem Fuß auf den anderen, will ihre Geschenke überreichen. Lydia freut sich über den Schokoladenkuchen, den Farn, die gestreifte Kerze. Merles Bild scheint sie eher traurig zu machen. Eine Frau in einer kleinen Hütte, neben ihr ein

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