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Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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sein!«
    Ich höre Lydia im Schlafzimmer weinen.
    Nach einer halben Stunde taucht sie wieder auf, entschuldigt sich. Sie hätte etwas überreagiert.
    »Merle sollte nichts von den Drogen erfahren. Das war mir immer so wichtig …«
    »Aber du machst doch so was nie wieder«, sagt Merle.
    »Nein«, murmelt Lydia und drückt sie an sich.

    Lydia ist wieder in ihrer Wohngruppe. Merle sieht fern. Das tut sie sonst fast nie.
    Ich setze mich an meinen Schreibtisch und merke sofort, dass etwas anders ist als sonst. Meine Stifte, mein Terminkalender, mein Adressbuch liegen nicht an den üblichen Plätzen. Meine Mappen mit den Drehbuchunterlagen sind in der Reihenfolge vertauscht. Merle hat hier noch nie etwas angerührt. Gestern, als ich in der Küche war. Panik bricht in mir aus. Ich schalte den Computer an, meine Dateien sind alle noch da. Vielleicht nur, weil Lydia mit Computern nicht umgehen kann. Mein Schmuck. Wieso bin ich nicht auf die Idee gekommen, meinen Schmuck einzuschließen? Ich öffne die Schreibtischschublade. Meine Hände zittern. Die Schatulle liegt gleich vorne links. Ich klappe den Deckel hoch. Es fehlt nichts.
    Ich lehne mich zurück. Wie oft hat Lydia mich bestohlen. Uns alle bestohlen. Angefangen hat es sehr früh.

    Mutter liegt im abgedunkelten Schlafzimmer. Lydia versteckt sich unter ihrer Bettdecke. Was ist passiert?, frage ich. Die sind so gemein, murmelt Lydia. Wer?, frage ich. Alle. Vaters aufgeregte Stimme am Telefon. Er stürzt in unser Zimmer. Jetzt reicht’s! Er zerrt Lydia aus dem Bett und knallt ihr eine. Du solltest dich schämen, deine Mitschülerin zu bestehlen. Mutter kommt dazu, stellt sich schützend vor Lydia. Wenn du es wagst, sie noch mal zu schlagen, zeige ich dich an! Sie hat gestohlen!, schreit Vater. Deine Tochter ist eine Diebin! Ich war’s nicht!, schreit Lydia. Mutter nimmt sie in die Arme. Natürlich nicht. Das habe ich gestern auch den Lehrern gesagt. Du weißt schon seit gestern von der Geschichte?, schreit Vater. Wieso erfahre ich das nicht? Du glaubst Lydia sowieso nicht, antwortet Mutter. Wie soll ich ihr glauben, wenn alle Fakten gegen sie sprechen?, schreit Vater. Ihre Sportlehrerin sagt, sie ist aus der Turnhalle gegangen. Später merkte eine Schülerin, dass ein Fünfmarkstück aus ihrem Portemonnaie verschwunden war. Weil Lydia schon mal in Verdacht geraten war, hat die Sportlehrerin in Lydias Ranzen nachgesehen. Und richtig, das Fünfmarkstück steckte in ihrem Turnbeutel. Wie kann sie da sagen, sie war es nicht? Mutter streicht Lydia über den Kopf. Ein anderer hat es dort hineingelegt, jemand, der Lydia in Schwierigkeiten bringen will. Genau, sagt Lydia, ich war’s nicht! Du lügst!, schreit Vater. Ich lüge nicht!, schreit Lydia. Du hast nicht mal den Mut, zuzugeben, dass du gestohlen hast!, schreit Vater. Wie kann man nur so feige sein! Eine Schande für die Familie! Er verlässt das Zimmer, schlägt die Tür hinter sich zu. Ich glaube dir, mein Schatz, flüstert Mutter, ich werde dir immer glauben.
    Lydia kam noch einmal davon. Zwei Jahre später ertappte man sie, als sie Geld aus der Klassenkasse nahm. Sie wurde von der Schule verwiesen. Vater strafte sie mit Verachtung, Mutter verkündete, das sei alles zu viel für sie. Abends kroch Lydia zu mir ins Bett. Warum hast du das Geld genommen?, fragte ich. Weiß ich nicht, jammerte Lydia. Mein Taschengeld ist immer so schnell alle. Und damals, in der Grundschule? Das war ich nicht, sagte Lydia. Du lügst. Ich höre es an deiner Stimme. Lass mich in Ruhe, sagte Lydia und stand auf und ging zurück in ihr eigenes Bett.
    Ich fand eine andere Schule für Lydia. Wortlos unterschrieb Vater die Formulare. Auch Mutter sagte nichts, setzte nur ihre fahrige Unterschrift neben die ihres Mannes.
    Am nächsten Tag brachte ich Lydia zu ihrer neuen Schule. Ich ahnte, es würde nicht lange gutgehen.

26.
    L ydia sitzt bei Judith im Zimmer. Sie trinken Tee, hören Musik, rauchen.
    »Du darfst nicht rauchen«, sagt Merle.
    »Nur eine«, murmelt Lydia.
    Ich schweige, ich will nicht zur Aufpasserin werden.

    Judith schneidet Lydia die Haare ab, färbt sie rotbraun.
    »Schön siehst du aus«, sagt Merle.
    Lydia geht mit Judith auf Flohmärkte, kauft indische Kleider, Tücher, Düfte.
    »Mama macht wieder Schmuck«, sagt Merle und zeigt mir stolz den Silberdraht und die bunten Glasperlen in Lydias Schrank.
    »Bist du nicht zu viel unterwegs?«, frage ich.
    »Es tut mir gut«, antwortet Lydia.
    Sie nimmt ihre Medikamente, geht

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