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Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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fragt der Vater. Vielleicht studiere ich Germanistik, antworte ich zögernd. Auch nicht viel besser, lautet sein Urteil. Was ist Ihr Vater von Beruf? Rechtsanwalt, murmele ich. Und Ihre Mutter?, fragt Simons Mutter, ist die auch berufstätig? Sie … war früher Schauspielerin. Wie interessant. Das Gespräch verebbt.
    Ich werde ebenfalls Mitglied in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, lese Adornos Minima Moralia und Marcuses Triebstruktur und Gesellschaft. Ich versuche, die Musik von Arnold Schönberg zu verstehen und sogar die von Alban Berg. Aus dem Verliebtsein wird etwas anderes, Größeres. Das habe ich noch nie erlebt. Du liebst ihn, stimmt’s?, fragt Esther. Sonst würdest du nicht so viel auf dich nehmen. Wie meinst du das?, frage ich. Die Bücher, die Musik, das ist doch alles nicht dein Fall. Woher weißt du das?, frage ich. Ich kenne dich, sagt Esther. Für Simon würdest du noch ganz andere Dinge tun, den Kilimandscharo besteigen oder Chinesisch lernen. Wieso denn Chinesisch?, frage ich. Ich mein ja nur, sagt Esther. Der Typ hat dich im Griff. Quatsch, sage ich. Simons Ideen beeindrucken mich, meine eigenen zählen längst nicht so viel. Wenn wir uns lieben, habe ich das Gefühl, mich zu verlieren. Es stört mich nicht, es erregt mich.
    Sechs Monate lang dauert dieser Zustand. Glück. Simon würde niemals ein solches Wort in den Mund nehmen. Kurz vor dem Abitur beginnt die Entgleisung. Simon liest die Nächte durch, Simon trinkt Unmengen Kaffee, Simon isst kaum noch was. Das Pfeifchen wird immer häufiger gestopft. Wer weiß, was er noch für Drogen nimmt. Der Zusammenbruch kommt zwei Tage vor dem Mündlichen. Simon ist bleich, seine Hände zittern. Ich will ihn umarmen, er stößt mich weg. Ich will ihn beruhigen, er droht, mich zu schlagen. Ich bekomme Angst und rufe seinen Vater. Am selben Abend wird Simon in die Psychiatrie eingeliefert.
    Er will mich nicht sehen. Auch seine Eltern wollen mich nicht sehen. Denken wahrscheinlich, ich sei mit schuld an der Krankheit ihres Sohnes.
    Im Spätsommer ruft mich Simon aus der Klinik an. Besuch mich, ich habe Sehnsucht nach dir. Seine Stimme klingt wie immer. Ich erschrecke, als ich ihn sehe. Sein Gesicht ist aufgedunsen. Seine Hände flattern. Trotzdem ist die alte Nähe sofort wieder da. Ich bin durchs Schriftliche gefallen, sagt Simon, aber das ist mir egal, die Schule kann mir sowieso nichts mehr bieten. Und jetzt?, frage ich. Du willst doch studieren. Denken kann ich auch ohne Abitur, sagt Simon.
    Seit wann ist dein Freund in der Klapsmühle?, fragt Lydia ein paar Tage später beim Essen. Mutter verschluckt sich, Vater quellen beinahe die Augen aus dem Kopf. Um eines mal klarzustellen, antworte ich kühl, wenn du dieses Vokabular benutzt, rede ich überhaupt nicht mit dir. Aber er ist in der Klapsmühle, das weiß ich genau, ruft Lydia. Ist sie mir gefolgt? Was ist denn mit Simon?, fragt Mutter alarmiert. Plötzlich interessiert sie sich für ihn. Monatelang hat sie nicht gemerkt, dass ich vor Angst fast gelähmt war. Nun sag schon, drängt Vater. Man macht sich ja Sorgen, wenn die Tochter einen Freund hat, der in die Klinik muss. Man. Die Tochter. Vater hält wie immer Abstand zu mir und meinem Leben. Simon hatte einen Zusammenbruch, sage ich leise. Was für einen Zusammenbruch?, will Vater wissen. Etwa was mit den Nerven? Es lag am Abitur, er war überarbeitet und hat kaum noch geschlafen. Der ist durchgeknallt, ruft Lydia. Du musst es ja wissen, schreie ich und laufe aus dem Zimmer.
    Spätabends wartet Vater im Flur auf mich. Wir müssen miteinander reden. Er zeigt auf sein Arbeitszimmer. Seit Jahren habe ich diesen Raum nicht betreten. Er setzt sich hinter seinen Schreibtisch. Ich bleibe stehen. Eine Nervenkrankheit ist nicht zu unterschätzen. Das kannst du in deinem Alter noch nicht beurteilen. Deshalb sehe ich es als meine Pflicht an, dich zu warnen. Ruck, zuck ist ein Leben verpfuscht. Man stelle sich mal vor, du würdest ein Kind bekommen von diesem Simon mit seinen kranken Genen. Was willst du mir eigentlich sagen?, frage ich. Dass du dich von ihm trennen musst, und zwar so schnell wie möglich. Du hast keine Ahnung, wovon du redest, sage ich. Du kennst Simon nicht mal. Und mich kennst du auch nicht. Wieso kenne ich dich nicht?, sagt Vater. Du bist doch meine Tochter, meine Franka. Deine Franka? Du weißt nichts von mir, gar nichts. Ich habe es satt!, schreie ich. Macht, was ihr wollt, Mutter und du und eure drogensüchtige Tochter.

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