Fremde Wasser
große Lasten im Investment wie das Wassergeschäft. Wenn er Kieslows Nachfolger werden will, muss er auch in
dieser Hinsicht einiges ändern. Er muss die Ziele erfüllen.
Diese Ziele waren Teil seines Vertrages. Sie umfassten kaum mehr als eine halbe DIN-A-4-Seite, und sie waren zu schaffen.
Über allem aber steht:
15 % Kapitalrendite
»Das ist jetzt Ihr Alpha und Ihr Omega«, sagt Landmann, und ein neuer Hauch fauliger Pestilenz trifft Stefan wie ein Keulenschlag,
zwingt ihn, durch den Mund zu atmen.
Um die 15 % Kapitalrendite zu realisieren, sind folgende Einzelziele zu verwirklichen:
Ziel 1
Die VED stellt ihre Fähigkeit als international operierendes Unternehmen der Wasserbranche unter Beweis, indem sie ein oder
mehrere Wasserwerke in der Dritten Welt erwirbt und profitabel betreibt.
Crommschröder steht kurz vor der Übernahme der Wasserwerke von Cochabamba, der zweitgrößten Stadt Boliviens. Unter größter
Geheimhaltung treibt er dieses Projekt voran. Ihn beunruhigt die Frage, auf welchen Wegen seine Schwester davon erfahren hat.
Und ihn beunruhigt, dass sie das Thema auf der Hauptversammlung publik gemacht hat.
Ziel 2
Die VED wird Marktführer in Deutschland. Dazu erwirbt sie die Wasserwerke zweier Millionenstädte.
Diesem Ziel ist Crommschröder sehr nahe. Mit dem Kauf der Berliner Wasserwerke ist ihm bereits der große Coup gelungen. Nun
muss er noch in Besitz der Hamburger Wasserwerke kommen. Wie eine himmlische Fügung erschien es ihm da, als nach den Senatswahlen
in Hamburg die konservative Partei die absolute Mehrheit errang. Es kostete ihn drei Abendessen, und der neue Senat setzte
die Hamburger Wasserwerke auf die Liste der zu verkaufenden Objekte. In dieser Sache ist er auf einem guten Weg.
Ziel 3
Ausarbeitung und Implementierung einer Strategie, die die lokalen, kommunalen Wasserwerke dem Wettbewerb durch die VED aussetzt
mit dem Ziel ihrer weitgehenden Übernahme durch die VED.
Das ist der schwierigste Punkt auf der Liste. Er kostete Crommschröder schon viel Mühe, Geld und Kraft. In Deutschland gibt
es 8000 kommunale Wasserwerke, und die meisten arbeiten gut und liefern bestes Trinkwasser, in der Regel zu Preisen, die deutlich
unter denen der privatisierten Unternehmen liegen. Es würde schwierig werden, die Öffentlichkeit zu einer Duldung der Verkäufe
dieser kommunalen Unternehmen zu bewegen. Doch mittlerweile hat er auch hier das weitere Vorgehen theoretisch ausgearbeitet.
Er will den gleichen Weg gehen, der auf dem Strommarkt bereits funktioniert hat. Dort hatte die VED zusammen mit ihren Konkurrenten
unter dem Vorwand der Kostenreduzierung vom Staat eine Öffnung der Stromnetze erzwungen. Jeder Anbieter konnte nun seinen
Strom einspeisen, und vor allem konnten nun Kunden aus allen Regionen Deutschlands gewonnen werden. Was als Kampagne für mehr
Wettbewerb geführt worden war, endete innerhalb von drei Jahren mit dem Monopol der großen fünf: ENBW im Süden, Vattenfall
im Norden, E.ON, RWE und VED.
Auf diese Art wollte er auch das Wassergeschäft verändern. Sicher, ein paar Gesetze mussten dafür geändert werden. Nichts
Besonderes. Es würde leise über die Bühne gehen. Crommschröder würde seine Ziele erreichen.
* * *
Es gibt noch ein Ereignis in jenen Tagen, das er nie vergessen wird, einen Auftritt besonderer Art. Kurz nachdem Crommschröder
sein neues Büro in der Vorstandsetage bezogen hat, besucht ihn Horst Grossert, der das Referat Öffentliche Kommunikation leitet.
Obwohl dieses Ressort nur eine Stabsstelle ist, die direkt an Dr. Kieslow berichtet, ist Grossert im Haus eine berüchtigte
graue Eminenz. Er gilt als einer der wichtigsten und einflussreichsten Männer im Konzern. Sein Spitzname, von dem Crommschröder
nicht weiß, ob Grossert ihn selbst kennt, lautet: der Puderer. Über ihn laufen alle Verbindungen zu politischen Parteien,
werden die Verbandskontakte gebündelt, und seine Abteilung pflegt Beziehungen zu den unterschiedlichsten Regierungsstellen.
Grossert hat sich drei Stunden für seinen Antrittsbesuch bei Crommschröder reserviert. Das hat Crommschröder anfänglich amüsiert,
da er sich nicht vorstellen kann, was er und der Puderer so lange zu reden haben. Als der Puderer erscheint, wundert er sich,
wie freundlich dieser Mann aus der Nähe wirkt. Er stammt aus der Dortmunder Gegend und beendet seine Sätze hin und wieder
mit einem aufmunternden »woll«. Er ist
Weitere Kostenlose Bücher