Fremde Wasser
Zensuren. Crommschröder dagegen wirkt mit seinen Vorlieben immer wie ein bisschen
zu spät gekommen. Die Professoren haben sich längst dem Neoliberalismuszugewandt und predigen Hayek, Euken und Röpke. Milton Friedman wird das Idol der Zunft. Mit einer gut benoteten Kritik an
Friedman schreibt Crommschröder seine Diplomarbeit. Aber als Anwärter auf einen der knappen Lehrstühle sieht ihn niemand.
Seine Felle schwimmen davon.
Heike wird schwanger, und sie heiraten. Sie drängt ihn, eine Stelle anzunehmen. Aber dann wäre es aus mit dem großen Marx'schen
Theoretiker. Typen wie der Mises-Enkel promovieren selbstverständlich. Als Stefans Vater stirbt und ihm die Häuser in Stuttgart
hinterlässt, entschließt er sich ebenfalls zur Promotion.
Seine Doktorarbeit soll von den Kondratjew-Zyklen handeln. Wenn es ihm gelänge, die »langen Wellen der Konjunktur« auch in
der deutschen und den westeuropäischen Volkswirtschaften nachzuweisen, wäre er der Star des Faches, denkt er. Die Doktorarbeit
ist seine letzte Chance auf einen Lehrstuhl.
Karin und Stefan teilen das väterliche Erbe in erstaunlicher Harmonie. Er verkauft zwei Häuser. Die privaten Finanzen sind
also geregelt. Aber immer wieder stößt er bei seiner Arbeit auf neue Hindernisse, und manchmal überfallen ihn Zweifel, ob
es die Kondratjew-Zyklen wirklich gibt.
In dieser Zeit hält Dr. Kieslow, der Vorstandssprecher des Energiekonzerns Vereinigte Elektrizitätsversorgung Deutschland
VED, am Institut einen Vortrag vor den Doktoranden und Diplomanden. Vom ersten Satz an ist Crommschröder fasziniert. Dieser
Mann predigt den Tauschwert. Ihm scheint es völlig egal, was der Konzern produziert oder vertreibt. Diesem Menschen kommt
es nur auf G' an. Klar und un-missverständlich. Crommschröder erinnerte sich an Seitzle, der voller Abscheu von den »Agenten
des Tauschwertes« gesprochen hatte. Hier sieht er zum ersten Mal einen.
Nach dem Vortrag spricht Kieslow mit einigen Professoren. Auch der Mises-Enkel lauert in der Nähe. Crommschröder passt einen
freien Moment ab und spricht Kieslow an.
»Ich möchte für Sie arbeiten.«
Zwei graue Augen mustern ihn kühl abwägend.
»Sprechen Sie Englisch?«
»Muttersprachlich«, lügt Crommschröder.
Kieslow gibt ihm seine Karte.
»Melden Sie sich bei mir. In zwei Tagen.«
Vier Wochen später ist er Vorstandsassistent bei der VED in Berlin. Kieslow bereitet den ersten Coup im Wassergeschäft vor.
Er will für die VED die Wasserversorgung von London übernehmen. Crommschröder wird dabei sein engster Helfer. Nachts paukt
er Englisch.
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15 Prozent
Stefan C. Crommschröder verdient 1,17 Millionen Euro im Jahr als Fixum. Dieser Betrag wird sich um 50 Prozent erhöhen, wenn
der Geschäftsbereich Wasserwirtschaft das Investment für die London Waters und die Berliner Wassergesellschaft wieder hereingewirtschaftet
hat. Das wird aber nicht vor 2008 der Fall sein. Außerdem kann er eine Prämie in der gleichen Höhe einfahren, wenn er die
Ziele erreicht, die er mit Kieslow und Landmann vereinbart hat. Diese Ziele bilden zugleich die Eckpfeiler der VED-Strategie
im Wassergeschäft.
Über eine Million Euro Gehalt – das hört sich verdammt viel an. Crommschröder erinnert sich genau an den Tag, als er den Vertrag
unterschrieb. Vorausgegangen waren lange Verhandlungen zwischen den Anwälten des Konzerns und Crommschröders Anwalt Kempf.
Dann folgte die feierliche Unterzeichnung in Landmanns Büro in Frankfurt. Er war an diesem Tag euphorisch. Er hatte einen
Höhenrausch. Und einen Abgang. Anders konnte man das nicht bezeichnen. Orgasmus ohne äußere Einwirkung. Genau in dem Augenblick,
als er unterschrieb. Er war selbst so überrascht, dass er mitten in der Unterschrift den Füller absetzte und erstaunt Kieslow
und Landmann ansah, die ihm gegenübersaßen. Weiß der Teufel, was die beiden in diesem Augenblick gedacht haben. Landmann lächelte
ihm freundlich zu, und der Gestank seiner Mundfäulnis wehte durch das Büro wie mittelalterliche Pestilenz. Vielleicht ist
er es gewohnt, dass es seinen Managern kommt, wenn sie Millionenverträge unterschreiben, dachte er. Später untersuchte Crommschröder
mit einer schnellen Handbewegung seine Hose, aber es war nichts nach außen gedrungen. Giorgio Armani sei Dank.
Trotzdem: Crommschröder verdient im VED-Vorstand am wenigsten. Er weiß es. Die traditionellen Geschäftszweige Strom und Gas
tragen nicht so
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