Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
Vom Netzwerk:
Co-Op, praktisch ohne jegliche Aufsicht, und an diese Art gemeinen Herunterputzens war er nicht gewöhnt. Dann begann er durchzudrehen. Keane tobte weiter – die Heirat würde unter den Cian böse Gefühle wecken, es sei ein Schritt in Richtung Auflösung der kulturellen Identität der terranischen Enklave, es könne andere Männer von der Erde ermuntern – oder schlimmer: Frauen –, das gleiche zu tun, es würde Farbers Loyalität aufteilen, ihn zuviel Zeit kosten … eine Fülle von Gründen, einige vernünftig, andere nicht und alle nur vorgeschoben. Farber beobachtete Keanes Miene beim Reden. Das Gesicht des Direktors war unausgeprägt und langweilig; die Haut schien aus Horn zu sein, übersät mit glänzenden toten Flecken, wie Schuppen aus ranzigem Fett, wo ein Traum gestorben und zu Chitin geronnen war. Was immer er auch sagte, sein wahrer Grund gegen die Heirat war, daß er die Cian haßte. Da war etwas, das über Logik, Pflichterfüllung oder gar Eigeninteresse hinausging. Er haßte die Cian. Er haßte die Co-Op, »Lisle«, seinen Job, Farber. Am meisten haßte er sich selbst. Es war ein erschöpfter, hilfloser Haß, um so schlimmer, weil er so ohnmächtig war. Er konnte nicht einmal zerstören. Alles, was er konnte, war negieren.
    Farber konnte ein sehr hartnäckiger Mensch sein, wenn man ihn herausforderte, und nun wurde dieser maultierhafte Zug in ihm dominant. Er begann zu erröten. Unbewußt wappnete er sich, setzte sich entschlossener auf seinen Stuhl und stellte die Füße gerade auf den Boden.
    Keane hatte sich schließlich verausgabt, und der Raum füllte sich mit einem Schweigen, das dauerte und dauerte. Farber saß absolut still. Er hatte noch kein Wort gesagt, seit Keane seine Tirade begonnen hatte. Er saß einfach reglos mitten im Büro – ein schimmernder, antiseptischer Käfig, Stahl, Plastik, Chrom, glänzende Kacheln, Glas, angefüllt mit Kleinigkeiten, Plaketten, gerahmten Zertifikaten, Karten, gestapelten Aktenordnern, ein riesiger Computerterminal, ein Hologrammbehälter, der eine halbe Wand einnahm. In diesem Stillleben saß Farber und starrte gleichgültig Keane an.
    Keane fummelte in der Unordnung auf seinem Schreibtisch herum.
    »Der cianische Verbindungsmann hat Ihnen für morgen ein Gespräch gewährt«, sagte Keane nach einer unangenehmen Pause, »um diesen Antrag von Ihnen zu diskutieren. Mein Rat lautet, nicht hinzugehen. Wenn Sie doch hingehen, dann müssen Sie dem Verbindungsmann versichern, alles sei nur ein Fehler oder eine falsche Vorstellung Ihrerseits gewesen. Verstehen Sie?«
    »Mein Privatleben geht Sie nichts an!« sagte Farber gleichmütig.
    »Unter keinen Umständen werden Sie diese Sache weiterverfolgen, Farber.«
    »Ihre Autorität erstreckt sich nicht auf mein Privatleben«, wiederholte Farber mit einem Anflug von Wut. »Ich werde tun, was ich will.«
    »Farber …«, sagte Keane, und Farber sagte gleichzeitig: »Es geht Sie nichts an.«
    Pause.
    »Ich kann Ihnen gehörigen Ärger bereiten!« drohte Keane.
    Das war der dritte Schritt.
     
    Hartnäckig nahm sich Farber den nächsten Nachmittag frei und ging zum cianischen Verbindungsmann bei der terranischen Mission, Jacawen sur Abut. Jacawen hatte sein Büro in der Altstadt.
     
    Farber war schon früher in der Altstadt gewesen, aber niemals lange, weil er sich dort nicht wohlfühlte. Es war ein Ort mit steilen Kopfsteinpflasterstraßen, Türmen und Spitzen und Kuppeln, steilen Treppen, Terrassen und Baikonen und Plazas, langen, schmalen Gäßchen, die sich erdrückend zwischen hohen Mauern aus schwarzem Felsen hindurchschlängelten, in denen sich plötzlich Lücken mit erstaunlichen Ausblicken ins weite Land oder auf die unruhige See tief unten öffneten. Es war ein Ort mit verschiedenen Ebenen, mit Schächten, die tief in den Felsen hineinführten, tief hinab mit Lichtern und Fenstern, die silbern und orange wie Phosphoreszenz in den Tiefen am Grunde eines alten trockenen Brunnens glitzerten; wabenförmige Klippen eines diamantartigen Gesteins, die sich wie Klippen auf einer Klippe von einer Terrasse oder einem Platz erhoben, wie der Bug eines großen dunklen Schiffes hochragten und eine blinkende Kaskade von Fenstern hoch über den Dächern der darunterliegenden Ebene bildeten; mit weiteren Gebäuden, die darüber errichtet waren, und noch wieder andere oben drauf; verhangene Dächer stiegen hoch und höher in den blauschwarzen Himmel. Es war ein Ort, der durch kleine, vertikale Dschungel gebändigt war, die

Weitere Kostenlose Bücher