Fremden Kind
Wärme, zu dem dieser kalte Fisch fähig war, sich auf junge Männer gerichtet hatte. Er fragte Daphne, ob sie ihm ein, zwei Fotos von dem Haus und Garten überlassen könne; warum eigentlich nicht, antwortete sie, zögerte es dann aber so lange hinaus, bis sie sicher sein konnte, dass Wilfrid das Album wieder in seinem Versteck verstaut hatte. Als sie alle drei wieder auf ihren Plätzen saßen, räusperte sich Paul und sah Daphne strenger an als bisher, doch mit dem wachsenden Gefühl, dass es ganz egal war, wie intensiv er sie anstarrte – sie würde ihn niemals sehen. Nonchalant sagte er: »Ein Sache hätte ich da noch« – als im selben Moment Daphne leise kichernd, beinahe grinsend, wie zur beiderseitigen Zufriedenheit, von sich gab: »Tja! Ich muss Ihnen leider sagen, dass ich meiner Freundin Caroline versprochen habe, um vier Uhr bei ihr zu sein. Deswegen müssen wir unsere Unterredung nun zu einem Ende bringen, nicht ohne uns für den Kaffee und die kleinen Erfrischungen bei Wilfrid Valance zu bedanken.«
Paul lief rot an, und seine Miene erstarrte, aber er wollte sich von Daphne nicht ausstechen lassen. Betont zerknirscht sah er kopfnickend auf die Uhr. »Ja, wenn ich den Zug um 17 Uhr 10 noch kriegen will …«, sagte er.
»Na sehen Sie, das trifft sich doch perfekt«, sagte Daphne mild.
Es war noch nicht geklärt, ob Wilfrid ihn wieder fahren würde; Paul jedenfalls war bereit, ein Cathedral-Taxi zu bestellen. Er erhob sich, und weil er sich die Niederlage nicht anmerken lassen wollte, fing er an, mit einigen aufschiebenden und relativierenden Bemerkungen das Tonbandgerät und seine Unterlagen in seine Aktentasche zu packen. »Ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte er.
»Eine große Hilfe war ich Ihnen wohl nicht, nehme ich an«, sagte Daphne.
»Sie waren sehr freundlich!«, erwiderte Paul in dem vollen Wissen, die Unwahrheit zu sagen. Er holte seine Ausgabe der Kurzen Galerie aus der Tasche. »Ich wollte Sie bitten – würden Sie mir das signieren?« Es war sein Rezensionsexemplar, und er hoffte, sie wäre nicht mehr in der Lage, seine mit Bleistift geschriebenen Randbemerkungen zu lesen, sollte ihr einfallen, in dem Buch zu blättern.
»Was ist das?«
»Paul möchte, dass du ihm dein Buch signierst, Mummy«, sagte Wilfrid, der sich über diese Bitte offenbar sehr freute.
»Wenn Sie mögen.« Hastiges Herumkramen nach einem Stift, und mit scheelem Blick auf die Titelseite setzte Daphne zu ihrer schwungvollen, galoppierenden Handschrift an – Paul sah nicht hin, doch führte die Geste ihn in einem komplexen Moment zurück zu jenem Abend, als sie ihm in Paddington ihre Adresse notiert, und noch weiter zurück an den Morgen in Foxleigh, als sie mit einer amüsiert fürsorglichen Miene, als wisse sie nicht, was sie tue, einen Scheck ausgestellt hatte. Ihre übergebührlich ausladende Handschrift mit den großen, leicht kantigen Schleifen hatte etwas an sich, wodurch sie sich ihm als junges Mädchen offenbarte, etwas Unbedachtes, von der Zeit fast Unverändertes, dieselben anschwellenden D und krückenhaften p, mit denen sie vor dem Krieg ihre Briefe an Cecil Valance und jetzt das Buch für Paul signierte. Sie klappte es zu und gab es ihm zurück; dann erhob sie sich ebenfalls, mit einem unschlüssigen Blick, als habe sie etwas überstanden, ohne allzu großen Schaden genommen zu haben. Paul schloss seine Aktentasche.
»Also dann. Ich melde mich«, sagte er. Er war sich nicht sicher, ob er sie jemals wiedersehen würde. »Und wie gesagt, sobald der Termin für die Buchvorstellung feststeht, sage ich Ihnen Bescheid. Sie müssen kommen!« Sie blieb vollkommen unbeteiligt, und Paul trat mit einem freundlichen Stoßseufzer auf sie zu und berührte sie am Oberarm – sie hatte es nicht kommen sehen: Erst nachdem er ihr einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte und zu einem zweiten ansetzte, zeigte sie Gegenwehr, ein leises perplexes Schnauben und Zurückweichen, wie vor dem schieren Ausmaß dieses Missverständnisses.
5. Teil
Die alten Kameraden
Kein Mensch erinnert sich an dich.
Mick Imlah,
»In Memoriam Alfred Lord Tennyson«
1
O b Julian wohl auch kommt? Wissen Sie das?«, fragte seine Sitznachbarin.
»Nein, leider …«, antwortete Rob.
»Ich glaube, sie waren gut befreundet. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn noch wiedererkennen würde.« Sie reckte den Hals. Ihr schwarzer Hut hatte vorn ein schmales Schleierband, über dem rechten Ohr eine malvenfarbige Seidenblume. Sie trug keinen Ehering,
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