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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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von seinem Mädchen erzählt?«
    »Oh – also, ich dachte mir …« Paul lächelte zerstreut und überprüfte das Aufnahmegerät.
    »Also wirklich – er ist sechzig! Der kann sich doch nicht um eine lebhafte junge Frau kümmern – er kann sich ja kaum um mich kümmern!«
    »Vielleicht kümmert sie sich ja um ihn.«
    Dafür hatte Daphne nur ein derbes, glucksendes Lachen übrig. »Er ist kein schlechter Mensch. Er könnte keiner Fliege was zuleide tun, nicht mal einem Floh, aber er hat zwei linke Hände. Man braucht sich doch nur das Haus hier anzusehen! Ein Wunder, dass ich noch nicht über irgendwas gestolpert bin und mir ein Bein gebrochen habe oder ein Handgelenk oder den Hals!«
    »Wohnt sie hier im Ort?«
    »Gott sei Dank nicht – sie lebt in Norwegen.«
    »Oh, ach so …«
    »Birgit. Sie ist eine Brieffreundin, hat er Ihnen das nicht gesagt?«
    »Norwegen ist jedenfalls sehr weit weg.«
    »Birgit ist offenbar nicht der Meinung. Sie hat schon Pläne für ihn.«
    »Glauben Sie das wirklich?«
    Daphne antwortete leise, aber ganz offen: »Sie will die nächste Lady Valance werden. – Ah, Wilfie, Tee, herrlich!«
    »Du hast gesagt Kaffee, Mummy.« Vorsichtig nahm sie die Tasse vom Tablett. »Soll ich rüber zu Smith’s gehen und was holen?«
    »Nein, nein«, sagte sie, »bleib nur und unterhalte dich mit uns – so ist es nicht so langweilig für Mr Bryant, und mir kannst du ein bisschen helfen – ich vergesse doch immer alles!«
    »Sagen Sie doch Paul zu mir«, bat Paul sie und lachte Wilfrid strahlend an. Wenn ihr Sohn dablieb, konnte er sicher sein, dass Daphne nichts auch nur im Entferntesten Interessantes von sich geben würde; man musste ihn mit einem kleinen Botengang aus dem Haus schicken, aber wie sollte er das erreichen?
    »Ja, natürlich interessiert mich … Pauls großes Projekt sehr.«
    »Siehst du, wusste ich es doch.« Sie trank einen Schluck. »Hm, köstlich.«
    Wie damit umgehen, fragte sich Paul. Er hatte stets einen Plan, der sich allerdings häufig als undurchführbar erwies, und Improvisieren war noch nie seine Stärke gewesen: Wenn es eben ging, hielt er sich streng an das, was er sich vorgenommen hatte. Er sprach sie auf Corley Court an und erwähnte, dass er mehrmals da gewesen sei und hoffe, noch mal hinfahren zu können, dem Direktor habe er bereits geschrieben. Daphne jedoch ließ sich einfach nicht für das Thema erwärmen. »Ich würde gerne wissen, ob Sie noch irgendwelche Sachen aus der Zeit haben«, sagte Paul. Vielleicht lagen ja unter den vielen Tischdecken und Teppichen in diesem Zimmer die Familienerbstücke der Valances versteckt, kleine verstaubte Dinge, die Cecil gehört hatten und die er in der Hand gehabt hatte. Manchmal überkam ihn wellenartig das Gefühl, das riesige unerforschte Terrain von Cecils Leben liege zum Greifen nahe und bleibe dennoch hartnäckig verborgen, wie eine einmalige Gelegenheit, die sofort wieder vereitelt wurde.
    »Viel habe ich nicht bekommen. Nur den Raffael.«
    »Oh, und …« Paul horchte auf.
    »Den haben Sie auf dem Klo bestimmt schon gesehen.«
    »Oh … oh, Sie meinen das Bildnis von dem Mann. Du liebe Güte, das muss doch ein Vermögen wert sein!« Paul ärgerte sich über sein Kichern, eigentlich verstand er nichts von der Sache.
    »Tja, das hatte man gehofft. Leider ist es nur eine Kopie von – wann noch mal, Wilfie?«
    »Ich glaube, um 1840«, sagte Wilfrid nüchtern, doch auch mit einem gewissen Stolz.
    »Aber damals wussten Sie das nicht?«
    »Na ja, ich denke mal … Und was noch?« Sie sah sich um, als würde grelles Licht sie blenden.
    »Den Aschenbecher«, sagte Wilfrid.
    »Ach ja, richtig – ich habe den Aschenbecher bekommen.« Auf dem kleinen Tisch, neben ihrer Kaffeetasse, stand ein Sil berschälchen mit welligem Rand. »Schauen Sie mal.« Sie nahm ihn zur Hand, und Paul stand auf, um ihn genauer zu betrachten. Andere Leute bewahrten solche Gegenstände für gewöhnlich in alten Koffern in einem Banksafe auf, doch der hier war von der dauernden Beanspruchung eines starken Rauchers verkratzt und fleckig.
    »Schauen Sie mal auf die Unterseite«, sagte Wilfrid.
    »Oh …«
    »Dudley hatte wohl einen Komplex, was Besitz angeht. Er ließ diese Worte in alle möglichen Gegenstände eingravieren, was ihren Wert natürlich erheblich minderte.« In kursiv dahinfließenden Buchstaben, wie eine konventionelle Inschrift ins Silber gestanzt, standen da die Worte: Gestohlen aus Corley Court . Paul gab ihm das Stück zurück und wurde

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