Fremden Kind
gelesen und sich an der Atmosphäre der Enthüllung delektiert, ohne echtes Interesse an den beteiligten Personen.
»Meine Großmutter«, sagte Jennifer, »war mit Cecils Bruder Dudley Valance verheiratet, ebenfalls Schriftsteller, heute so gut wie vergessen.«
» Schwarze Blumen, immerhin«, sagte Rob.
»Genau. Ich hatte schon vergessen, dass Sie Buchhändler sind! Jedenfalls hat sie ihn verlassen und meinen Großvater geheiratet, den Künstler Revel Ralph.«
»Ja, genau«, sagte Rob, als er ihren fragenden Blick bemerkte.
»Mein Vater hat hauptsächlich in Malaysia gearbeitet, er machte in Gummi, aber ich bin in England zur Schule gegangen, und in den Ferien war ich oft bei meiner Tante Corinna, Dudleys Tochter. Da habe ich übrigens auch Peter kennengelernt. Er spielte vierhändig mit ihr. Sie spielte hervorragend, hätte Konzertpianistin werden können.«
»Aha«, sagte Rob, etwas abgelenkt von dem Bild ihres Vaters »in Gummi«, obwohl der obszöne Subtext nur als aufmunterndes Lächeln aufflackerte. »Wie interessant.«
»Ja, es ist interessant«, sagte Jennifer trocken und zog das Kinn an, »aber laut Paul Bryant ist alles, was ich Ihnen gerade erzählt habe, unwahr. Mal sehen, ob ich es hinkriege: Also, meine Tante war gar nicht Dudleys Tochter, sondern Cecils. Dudley war schwul, hat es aber trotzdem fertiggebracht, mit meiner Großmutter einen Sohn zu zeugen, und der Vater meines Vaters war nicht Revel Ralph, der eigentlich schwul war, sondern ein Maler namens Mark Gibbons. Vielleicht stelle ich es etwas verkürzt dar …«
Rob nickte grinsend, wenn er auch nicht alles begriffen hatte. »Und das stimmt natürlich nicht.«
»Ach, wer weiß?« sagte Jennifer. »Paul war so eine Art Fantast, das war uns ja schon bekannt. Trotzdem hat sein Buch damals reichlich Staub aufgewirbelt. Dudleys Frau hat sogar versucht, eine einstweilige Verfügung dagegen zu erwirken.«
»Ja, kann man sich denken.« Es entsprach genau seiner Vorstellung von der alten Garde, die ständig versuchte zu mauern und damit scheiterte.
»Erinnern Sie sich noch daran? Die Veröffentlichung warf ein zweifelhaftes Licht auf meine arme Großmutter.«
»Ja, das kann ich verstehen.«
»Sie war dreimal verheiratet, und jetzt kommt jemand daher und behauptet, zwei ihrer drei Kinder hätte sie nicht mit ihrem jeweiligen Ehemann gezeugt. Ach ja – sagte ich schon, dass Cecil eine Affäre mit ihrem Bruder hatte? Das also auch noch.«
»Oje!«, sagte Rob, ohne erkennen zu können, welche Haltung Jennifer selbst in dieser Sache einnahm. Anscheinend missbilligte sie Paul Bryant, stellte allerdings seine Behaup tungen nicht grundsätzlich infrage. In ihrem schnurrigen akademischen Ton schwang etwas Aristokratisches mit, eine snobistische Reserviertheit, die sie nicht gänzlich verleugnen wollte. »Sie hat bei Erscheinen des Buches aber nicht mehr gelebt, nehme ich an.«
»Doch, und wie! Allerdings war sie schon sehr alt und praktisch blind. Selbst lesen konnte sie das Buch also nicht mehr. Jeder hat versucht, es von ihr fernzuhalten.« Jennifer zuckte zusammen angesichts der Erkenntnis, wie nahe Komik und Tragik hier beieinanderlagen. »Aber Sie wissen ja selbst, es gibt immer einen engen Freund, der meint, er müsse einen ins Bild setzen. Ich glaube, es hat ihr in gewissem Sinn den Rest gegeben. Schließlich hatte sie Jahre vorher selbst ein allerdings ziemlich schwaches Buch über ihre Affäre mit Onkel Cecil geschrieben, deswegen war es ein Schock für sie, gesagt zu bekommen, dass Cecil auch noch was mit ihrem eigenen Bruder gehabt hatte.«
»Damals war es angesagt, schwule Autoren zu outen.«
»Schön und gut«, sagte sie und schüttelte unzweideutig den Kopf. »Wenn das alles war …«
Rob sah sie an, und im selben Moment fiel ihm auch der Titel wieder ein. »England erzittert «, sagte er. Lange vergriffen, war es später in einem amerikanischen Taschenbuchverlag wieder aufgelegt worden – er hatte noch das Foto von Valance vorn auf dem Cover im Kopf. – »Sensationell!« – so die Times of London – irgendwas in die Richtung.
» England erzittert « , sagte Jennife r , »genau …«. Sie bog die Mundwinkel nach unten, auf die französische Art, um Gleichgültigkeit zum Ausdruck zu bringen. »Die Sache war nur die …«
Ein lautes schnurrendes Geräusch, ein vorbereitendes selbstzufriedenes Gurgeln erhob sich über der allgemeinen Unterhaltung, und dann folgte: »Meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Geduld, mein Name
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