Fremden Kind
geheiratet hatte, der solche Bilder produzierte? »Ich weiß noch, dass er zu einigen unserer Atelierfeste kam«, sagte sie, als wollte sie im Nachhinein gutheißen, dass ihr Mann schon mal gerne einen Blick riskiert hatte. Für einen Moment dachte Paul sogar, sie würde sich über ihn lustig machen.
»Die gehören in ein Museum«, sagte er verlegen.
»Über kurz oder lang werden sie da wohl auch landen, nehme ich an. Aber vorerst hätte ich sie gerne noch in meiner Nähe. Vielen Dank.« Sie klappte das Buch nach der Hälfte zu, als wollte sie Paul zu verstehen geben, dass sie ihn genug verwöhnt hatte.
»Eigentlich wollte ich Sie noch bitten, mir Fotos von Two Acres zu zeigen.« Es schien ihm ratsamer, sie nach Bildern von Häusern statt von Menschen zu fragen. Es klang desinteressierter, und bestimmt wären in den fraglichen Alben auch Bilder von Personen eingeklebt. Erneut war es Wilfrid, der seiner Bitte nachkam. »Das hier war Granny Sawles Album«, sagte er.
»Es war ein hübsches Haus«, sagte Daphne, die das Album wieder auf ihr linkes Knie legte und misstrauisch die Augenbrauen hochzog. »Das ist der Blick von der Straße aus, oder? Ja, da ist das Esszimmerfenster, und davor standen die vier Kirschbäume.«
»Eine Wolke von Schnee zur Osterzeit!«, sagte Paul (es war nicht Cecils originellste Zeile).
»Aha!«, ließ sich Wilfrid vom anderen Ende des Raums vernehmen.
»Da, schauen Sie …«, sagte Daphne. »Das ist der Steingarten. Ach, Gott, jetzt kommt alles zurück.«
»Das freut mich«, sagte Paul mit einem freimütigen Lachen.
»Und wer ist das da? Ist das Granny, Wilfie?«
»Oh …«, sagte Paul. Es war die etwas korpulente deutsche Frau, die George bereits erwähnt hatte, deren Namen Paul aber nicht kannte. Er ärgerte sich über sie, eine Gestalt, die ihn nicht im Geringsten interessierte, aber fortwährend Aufmerksamkeit verlangte. Jetzt erinnerte er sich auch, dass George sie als eine Nervensäge bezeichnet hatte. Auf dem Foto saß sie, in lichtabsorbierendes Schwarz gekleidet, in einem Gartenstuhl, aus dem jemals sich zu erheben man sie sich kaum vorstellen konnte.
»Was?«, sagte Wilfrid und kam aus seiner Ecke hervor. »Ich weiß nicht, wer die alle sind. Schon vergessen – ich war noch nicht auf der Welt. Ach, du meine Güte – nein, nein, das ist nicht Granny. Nein, niemals.« Er lachte herb. »Granny war eine ziemliche, eine sehr … wunderbare Frau mit wunderbarem kastanienbraunem Haar.«
»Kastanienbraun würde ich das nicht unbedingt nennen«, meinte Daphne. »Sie war eher dunkelblond. Sie war sehr stolz auf ihr Haar.« Was Daphne über ihr eigenes Haar vermutlich nicht sagen würde. Paul sah Wilfrid an. »Ist das nicht die Deutsche?«
»Ja, richtig …«, sagte Wilfrid, schon wieder abgelenkt, beugte sich rasch vor, um die Seite umzublättern. »Die Fotos habe ich eine Ewigkeit nicht gesehen.«
»Was wohl aus dem Haus geworden ist?«, sagte Daphne.
»Gut möglich, dass es gar nicht mehr existiert, Mutter«, sagte Wilfrid. Und Paul erlebte einen jener raren Momente, in denen es in seiner Macht stand, demjenigen eine Information zu geben und damit möglicherweise vor den Kopf zu stoßen, den er selbst um Informationen gebeten hatte.
»Oh, doch, es existiert noch«, sagte er.
»Sie haben es sich wohl angesehen«, sagte Daphne gereizt.
Paul kniff bedauernd die Lippen zusammen. »Sie würden den Ort kaum wiedererkennen.«
»Tatsächlich?«, sagte sie gelassen, aber bitter.
»Na ja, wahrscheinlich doch – doch, ja, natürlich würden Sie ihn wiedererkennen«, sagte Paul und verschwieg, was er dachte: Aber Sie werden nicht mehr hinfahren, Sie werden das Haus nie wiedersehen. Er hatte das Gefühl, dass sie ihm bereits die Schuld für die Veränderungen gab, für die Jahre in kleinen Wohnungen, für den verkauften Garten, die Schuld dafür, dass er etwas wusste, was sie gehofft hatte niemals zu erfahren.
»Ach, ich will es lieber gar nicht wissen«, sagte sie.
»Immerhin haben wir das Gedicht, nicht«, sagte Wilfrid.
»Ja, selbstverständlich«, sage Daphne, »das Gedicht bleibt uns erhalten.«
Von Cecil gab es keine Fotos in dem Album, nicht weiter verwunderlich bei insgesamt nur sechs Tagen, die er auf Two Acres verbracht hatte, dennoch enttäuschend. Umso genauer sah sich Paul die Fotos von George an, immer wenn er auftauchte, von dem Sechsjährigen im Matrosenanzug bis zum Cambridge-Studenten mit Strohhut, und er hatte immer weniger Zweifel, dass das geringe Maß an
Weitere Kostenlose Bücher