Fremden Kind
Peter und zwängte sich von hinten kommend an Jennifer vorbei – ein flüchtiges, aber freundliches Nicken, ein unbedachter ausdrucksloser Blick in ihr Gesicht, dann zwei bedeutungsvolle Sekunden langes Abwägen möglichen Wiedererkennens, eine atemlose Drehung, entschieden, und schließlich die eindeutige Zurückweisung: »Was darf ich Ihnen bringen, Andrea?« Jennifer dagegen, neugierig und angstfrei, berührte ihn an der Schulter. »Paul?«, sagte sie. Er zuckte zusammen, drehte sich um, und ihre zögerliche Miene war eine wundervolle Maske aus Scheinheiligkeit, Begrüßungsfreude und Vorwurf. Sie musste eine schreckliche Lehrerin sein, dachte Rob.
Bryant trat zurück, packte sie am Unterarm, starrte sie an, als wollte man ihn hereinlegen, während in seinem Hirn rasend schnell eine hochkomplexe Kalkulation ablief. »Jenny, Schätzchen! Ich fasse es nicht!«
»Tja, das hättest du nicht gedacht, was.«
»Peter hätte sich wahnsinnig gefreut«, sagte er und schüttelte noch immer verwundert den Kopf. War das eine Kollision oder ein Wiedersehen? »Ich kann es nicht fassen!«, wiederholte er, streckte den Kopf vor und begrüßte sie mit Küsschen.
Sie lachte: »Oh!«, wurde rot und fuhr sogleich fort: »Peter hat mir viel bedeutet, vor langer Zeit.«
»Ach, das alte Flittchen …«, sagte Bryant und nahm Rob ins Visier, ohne einschätzen zu können, welche Rolle er in Peters Leben gespielt haben könnte. »Nein, nein, schon ein großer Mann, ›Peter Rowe, mein Schätzchen‹, wie du ihn immer genannt hast, weißt du noch?« Er hielt sich an die Vereinbarung, des Verstorbenen auf liebevolle Weise zu gedenken und ab und zu in nachsichtigem Ton spitze Bemerkungen einfließen zu lassen. »Andrea, das ist Jenny Ralph – oder nicht mehr Ralph? Ich weiß nicht …?«
»Immer noch«, sagte Jenny streng.
»Eine sehr alte Freundin. Andrea … sie war Peters Nachbarin, stimmt’s?«
»Rob«, sagte Rob, ohne ihnen mehr anzubieten, obwohl Jennifer es ihm mit einem aufmunternden, gemurmelten »Ja, Rob …« freistellte.
»Rob … Hallo. Und das ist – wo bist du denn? – na komm! – Bobby«, sagte er zu dem geduldig wartenden Chinesen, dem er den Rücken zugewandt hatte, »mein Lebensgefährte.«
Rob gab Bobby die Hand und lächelte ihn mit dem flimmernden Wissen um die Überraschungen und Spekulationen, die solche schwulen Vorstellungsrunden umgaben, an. »Eingetragen?«
»Hmm, meistens recht einträglich jedenfalls«, sagte Bryant, und Bobby, mit einem lieben, aber matten Grinsen: »Ja, es ist eine eingetragene Lebenspartnerschaft.«
Sie prosteten sich zu, und Bryant schielte über den Rand seines Weinglases verlegen zu Jennifer, die in ihrer offenen Art sagte: »Ich habe dein Buch gelesen.«
»Ach, herrje«, sagte er, leicht den Kopf schüttelnd, und dann: »Welches?«
»Du weißt schon – Onkel Cecil …«
»Oh, England erzittert, ja …«
»Damit hast du ganz schön für Aufsehen gesorgt.«
»Wem sagst du das!«, erwiderte Bryant. »Nur Ärger hat mir das eingebracht!« Er wandte sich erklärend an Andrea. »Es geht um das Buch, das ich eben in meiner Rede erwähnt habe, falls Sie sich erinnern – die Biografie über Cecil Valance. Mein erstes Buch übrigens.« Er wandte sich wieder Jennifer zu. »Manchmal dachte ich, ich hätte mich gründlich verhoben.«
»Könnte sein«, sagte Jennifer.
»Valance? Hat der nicht ›Two Acres‹ geschrieben?«, sagte Andrea. »Das musste ich in der Schule auswendig lernen.«
»Dann können Sie es bestimmt immer noch«, versicherte ihr Jennifer.
»Irgendwas mit Pfad der Liebe oder so …«
»Es war meiner Großmutter gewidmet«, sagte Jennifer.
»Oder, wie ich in meinem Buch nachweise, deinem Großonkel!«, sagte Bryant mutig.
»Das ist ja sagenhaft.« Andrea sah sich um. »Ich muss Sie unbedingt meinem Mann vorstellen, er ist eigentlich der Lyrik freund bei uns.«
Bryant schmunzelte verhalten. »Es war deine reizende Großmutter, die mir den meisten Ärger gemacht hat.«
»Du hast es ihr ordentlich heimgezahlt«, sagte Jennifer, und Rob dachte schon, dass es wohl doch eher auf eine Kollision hinauslief.
»War ich so schlimm? Ich habe einfach nichts aus ihr herausbekommen.«
»Vielleicht lag es daran, dass sie es für sich behalten wollte.«
»Hm, wie ich sehe, bist du nicht einverstanden.«
»Um wen geht es denn?«, sagte Andrea.
»Meine Großmutter, Daphne Sawle«, sagte Jennifer, als sei keine weitere Erklärung nötig.
»Ich wusste ja, dass sie es
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