Fremden Kind
Damals sprach er sogar davon, etwas über Valance zu schreiben, aber ich glaube, wir sind uns alle einig, dass er niemals die nötige Geduld oder das Sitzfleisch für eine umfassende Biografie aufgebracht hätte. Ich hatte gerade selbst mit meiner Valance-Biografie angefangen, da schickte er mir einen Brief, der ebenfalls sehr typisch für ihn war und in dem er mir sagte, ich sei der Richtige für diesen Job.« Rob sah wieder zu Jennifer, die geschwind und schwungvoll » NEIN !« auf ihre Karte schrieb. »Nachdem ich einigermaßen Fuß gefasst hatte im Literaturbetrieb, war es mir ein Vergnügen, Peter als Rezensenten zu empfehlen, und er hat einige wunderbare Artikel für das TLS und andere Zeitungen geschrieben – nur mit Abgabeterminen hatte er es nicht besonders.«
Natürlich ging die Lyrik der Trauer oft einher mit einem eher prosaischen Zwang, die Gelegenheit, so unpassend sie war, zu nutzen, um die Wahrheit zu sagen – und da die betreffende Person sich nicht mehr wehren konnte … Es herrschte ein spezieller Ton gutmütiger Offenheit, einige Dinge nachträglich, aber auf unterhaltsame Weise richtigzustellen, der mühelos und unmerklich umschlagen konnte, um alte Rech nungen zu begleichen und objektive Tatsachen zu verschleiern. »Einmal gestand er freimütig ein«, sagte Bryant mit einem betrübten Lächeln, »dass er vom Klavierspielen so gut wie nichts verstünde, doch vor einer Horde Schüler mit seiner Klimperei durchkäme.« (Jennifer schüttelte den Kopf, als wäre sie enttäuscht, aber nicht sonderlich überrascht.) Am Ende, als er wieder Platz nahm, hatte er nichts zu Peter Rowe, dem Büchermenschen, gesagt, nur dass er außer seinen » TV -Spin-offs« nichts produziert habe. War es Neid? Es wurde klar, dass sich die beiden in den vergangenen vierzig Jahren kaum je gesehen hatten, insofern war die Rede eine verpasste Chan ce – Rob dachte daran, was er selbst allein über Peters private Bibliothek hätte sagen können.
Als Letzter trat Desmond nach vorn und umfasste das Mikrofon mit beiden Händen, seine Miene weitaus weniger be lustigt als die der anderen. Im Raum saß vielleicht ein Dutzend Farbiger, doch Desmond war der einzige schwarze Redner, und Rob spürte den komplexen Moment, in dem sich Sympathie und Verlegenheit im Publikum justieren und gleich danach, bei dem Gedanken an Desmond vor zehn Jahren, eine unerwartete Gefühlsregung bei sich selbst. Desmond war rundlicher und sein Gesicht voller als damals, das Jungenhafte für immer verloren, außer in seinem Tremor der Entschlossenheit. Rob runzelte sanft die Stirn, als er an die Narbe auf Desmonds Rücken dachte, seinen unbehaarten Körper, seinen knubbeligen Nabel; doch merkte er auch, dass der Zauber der sexuellen Anziehung nur in Form von Loyalität und sentimentaler Traurigkeit fortbestand. In den sechs Jahren, die er mit Peter zusammen gewesen war, hatte Desmond ein geteiltes Echo hervorgerufen, besonders unter Peters alten Freunden. War er ein Glücksfall oder ein grauenvoller Langweiler? Heute jedenfalls strahlte er die verspannte Würde des Überlebenden einer Paarbeziehung aus, der die Treue ebenjener Freunde auf die Probe stellte. Vielleicht hatte der Gram ihm den Sex-Appeal genommen, just in dem Moment, in dem er sein Leben neu hätte ausrichten müssen.
Er sprach klar, wenn auch recht steif, im Gesicht den angedeuteten Vorwurf gegenüber den belanglosen Beiträgen seiner Vorredner. Die nigerianische Diktion mit ihren geschmeidigen Konsonanten und ausdrucksstarken, harten Vokalen hatte sich im Lauf der Jahre, seit Rob ihn auf einer Party kennengelernt und frierend in einem Taxi nach Hause gebracht hatte, durch das Leben in London allmählich verschliffen. Er sagte, die Freundschaft mit Peter sei das größte Geschenk seines Lebens gewesen, und die zwei Jahre Ehe mit ihm nicht nur überaus glücklich, sondern auch die Krönung all dessen, woran Peter geglaubt und wofür er gearbeitet habe. Er habe immer betont, wie wichtig die Änderung des Strafrechts von 1967 für ihn, damals ein junger Lehrer auf Corley Court, und für viele andere wie ihn gewesen sei, doch sei das nur der Anfang gewesen. Noch viele Schlachten hätten geschlagen werden müssen, und die Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes für gleichgeschlechtliche Paare sei nicht nur für sie persönlich eine Errungenschaft, sondern für die zivile Gesellschaft als Ganzes. Das wurde mit sekundenlangem starkem Beifall sowie leicht verwirrten, wenn auch
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