Fremden Kind
technisches Verständnis zu haben. Entscheidend für den Erfolg seiner Serien waren die Produzenten, mit denen er zusammengearbeitet hat.« Mindestens drei Redner behaupteten, Peter sei »ein großer Kommunikator« gewesen, ein Begriff, der nach Robs Erfahrung gewöhnlich für egomanische Langweiler reserviert war. Er selbst hatte Peter nur oberflächlich gekannt, doch fiel ihm der befremdliche Ton in einigen Redebeiträgen auf, die unverhohlene Andeutung, Peter sei zwar »wunderbar«, »anregend« und »zum Brüllen komisch« gewesen, aber im Grunde genommen doch nur ein Dilettant, dessen sprunghafte Begeisterung für dieses und jenes ihn daran gehindert habe, sich wissenschaftlich fundierter mit einem Thema zu beschäftigen. Es war eine Gedenkveranstaltung, daher wurde ein Schleier des Vergessens über Peters Unzulänglichkeiten gebreitet, allerdings nicht so gründlich, dass nicht die Hand zu erkennen gewesen wäre, die ihn ausbreitete, eine prüde Zurschaustellung von Takt. Danach bekam man einen Anderthalb-Minuten-Ausschnitt aus Private Leidenschaften zu hören, Peter, wie er über Liszt sprach. Seine Stimme mit dem vollen, versoffenen Timbre sowie sein ruheloser trockener Humor schienen den Raum zu erobern und die Anwesenden in die Schranken zu weisen, als wäre er wieder lebendig, beobachtete sie von der Bücherwand aus und wäre doch gleichzeitig unwiederbringlich sehr weit weg. Gelächter perlte die Stuhlreihen entlang, dankbar und aufmerksam Peters schockierende Präsenz registrierend, obwohl er gar nichts Witziges von sich gab. Rob hatte das Stück noch nie gehört – »Aux cyprès de la Villa d’Este«, in ohrenbetäubender Lautstärke, sodass man schwer nachvollziehen konnte, was Peter in dem Zusammenhang mit »Todesvision« gemeint hatte: Liszt habe den Titel »Elegie« als zu »sensibel und tröstlich« verworfen und es stattdessen eine »Threnodie« genannt, worunter er einen Trauergesang über das Leben verstand. Rob notierte sich die beiden Worte mit ihrem klaren etymologischen Auftrag auf die Rückseite seiner Karte. Ein Blick in die erste Reihe sagte ihm, dass als Nächster Paul Bryant dran war, der offenbar nicht wusste, wie lange der Liszt dauerte, diskret etwas Fettstift auf die Lippen auftrug, an die Stuhlkante rutschte und mit einem angespannten, aber nachsichtigen Lächeln zu Boden starrte. Dann stand er auf, ging zum Pult und packte sich das Mikrofon wie jemand, der so ein Gerät schon immer in der Hand halten wollte.
Rob sah zu Jennifer, die die Augen zusammenkniff und zerstreut ihren Bleistift zwischen den Fingern herumdrehte. Bryant war ein gutes Modell, klein, aber füllig, mit einer langen markanten Nase in einem rötlichen, ziemlich feinfühligen Gesicht, krauses, graues Haar, sorgfältig über den blassen Schädel gekämmt. Er stand direkt neben dem Pult und strich mit der freien Hand über seine Krawatte. Als literarischer Biograf sei er gebeten worden, etwas über Peters literarische Interessen zu sagen, bei sieben Minuten Redezeit natürlich ein absurdes Unterfangen, wie er betonte. Peter verdiene eine eigene literarische Biografie, und vielleicht werde er sie eines Tages schreiben – jeder, der eine Geschichte beisteuern könne, möge sich nachher an ihn wenden, alles bleibe selbstverständlich streng vertraulich. Damit erntete er ein überraschend warmherziges Lachen, doch nach allem, was Jennifer über ihn gesagt hatte, war Rob sich unsicher, ob seine Rede witzig gemeint war oder ob er sich tatsächlich nur als Verwerter fremder Leute Geheimnisse andiente.
Bryant stellte von Anfang an klar, was Nick Powell treuherzig vermieden hatte, dass er nämlich Peters Geliebter gewesen war – Rob sah zu Desmond, der teilnahmslos blieb; der Altersunterschied von dreißig Jahren zwischen ihnen sagte jedenfalls einiges über Peters Zähigkeit und Attraktivität aus. Paul bekannte, er habe keine akademische Ausbildung genossen, »doch in mancher Hinsicht war Peter Rowe meine Ausbildung. Peter war die magische Person, die jedem von uns mal über den Weg läuft – wenn man Glück hat – und die uns zeigt, wie man sein Leben lebt und man sich selbst treu ist«. Das schürte Vermutungen über das völlig unbekannte Privatleben des Paul Bryant. »So wie … Professor Dupont wurde auch ich von Peter an Cecil Valance herangeführt. Ich weiß noch, wie Peter mir bei unserem ersten Date das Grab des Dichters auf Corley Court zeigte – ein ungewöhnliches Date, aber das war typisch für Peter.
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