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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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einem Anflug von Panik zu dem Teil der Geschichte an, den sie am besten beherrschte, auswendig konnte, Wort für Wort, von früheren Malen. »Er war ein stattlicher, alter Mann, selbst damals noch größer als Frank, obwohl er, glaube ich, an die achtzig war. Ich sehe ihn noch vor mir, mit seinem Cape über dem Anzug und« – an dieser Stelle beschrieb sie immer weite, ausladende Gesten über dem Kopf – »einem ungeheuer breitkrempigen, schlappen Hut, und von hinten …«
    »Einem Schlapphut«, sagte George.
    »Richtig … und von hinten sah man seine« – hier senkte sie regelmäßig die Stimme – »scheinbar vor Schmutz starrenden Haare. Ich sehe ihn vor mir. Mein erster Gedanke war, dass er Frank belästigte. Ich dachte, er ist ein Bettler oder so! Man stelle sich vor!«
    »Der Poeta laureatus von England!«, sagte Hubert.
    »Sie unterhielten sich ziemlich lange. Offenbar hatte der Ka pitän ihm gesagt, wir seien Frischvermählte.« Sie trank einen Schluck Wein und sah dabei Harry über den Glasrand an. Ihr Herz raste wie verrückt.
    »Und worüber haben sie sich unterhalten, Darling?«, lieferte George schmallippig das nächste Stichwort.
    »Ach, das habe ich vergessen …«
    »Oh, schade!«, rief Cecil, ließ sich zurück auf den Stuhl fallen, als hätte er gutes Geld für schlechte Ware gezahlt, kannte Freda aber auch lange genug, um ungestraft mit ihr scherzen zu können. Sie lachte über sich selbst und legte wieder für einen Moment eine Hand auf seinen Ärmel.
    »Lord Tennyson sagte – also, wissen Sie, eigentlich sollte ich das nicht erzählen.« Sie spürte einen Kloß im Hals.
    »Wir sagen es auch nicht weiter«, sagte Elspeth, freundlich, aber wie zu einem anstrengenden Kind.
    Daphne sprach laut in einem schroffen, angedeuteten Dialekt: »Er sagte: ›Mehr dreschen, junger Mann.‹«
    »Also wirklich, Kindchen«, schimpfte Freda lachend und lief rot an.
    »›Weniger drechseln, junger Mann, mehr dreschen!‹«, schmetterte Daphne.
    »Ich kann Ihnen sagen, der Mann war sehr bodenstän dig!«, meinte Freda.
    Jetzt lachte auch Cecil, auf seine knappe, wiehernde Art, und Belustigung und Erleichterung breitete sich am Tisch aus, wobei sich das Lachen eher der skurrilen Schauspielerei Daphnes verdankte.
    »Mehr haben sie dem berühmten Dichter nicht entlockt«, erklärte Daphne. »Keinen Gelegenheitsvers, sondern nur«, sie zog wieder das Kinn ein: »Weniger drechseln, junger Mann, mehr dreschen!«
    »Es reicht jetzt, Kindchen!«, ermahnte Freda sie.
    »Man versteht, was er gemeint hat«, sagte Harry.
    »Zu dem Zeitpunkt hatte er die gedrechselten Verse satt«, sagte Hubert, sichtlich stolz auf diese Familienanekdote und das Interesse daran genießend.
    »Der gute Frank war ein bisschen konsterniert«, sagte Freda, durch die abebbende Heiterkeit verunsichert und weil sie merkte, dass sie Tennysons Äußerungen über Flitterwochen in ihrem Bericht ausgelassen hatte. Auch das war einigermaßen konsternierend, aber sie hielt es für das Beste, es auf sich beruhen zu lassen.
    »Ja, ja, er konnte wirklich ungehobelt sein«, sagte Cecil und zertrümmerte zwischen den Backen eines silbernen Nussknackers eine Paranuss.
    »Ein Dreschflegel, könnte man sagen«, feixte George mit Blick in die Runde.
    »Wenn man mit achtzig nicht ungehobelt sein darf …«, setzte Daphne an.
    »Ja, doch, er konnte wirklich ungehobelt sein«, wiederholte Cecil mit vollem Mund und wirkte auf einmal grob und ziemlich betrunken. »Ich erinnere mich daran, dass mein Großvater das immer sagte – er hat ihn nämlich ganz gut gekannt.«
    »Ach, tatsächlich?«, sagte Freda, es klang wie ein enttäuschtes Aufheulen.
    »Ja, tatsächlich«, sagte Cecil laut und betont und verlor umgehend jedes Interesse. Sein Gesicht fiel ein, wurde ausdruckslos, und er wandte sich ab.
    Nachdem sich die Damen zum Kaffee zurückgezogen hatten, wurde die Tür zum Speisezimmer geschlossen, und nur die lauteren Geräusche drangen durch die Halle zu ihnen – Cecils Quasseln und immer wieder mal Hueys plumpes Lachen. Nie wusste man genau, was vor sich ging, während die Karaffe herumgereicht wurde; was immer es war, es verblieb im Raum. Das Einzige, was sie anschließend mit hereinbrachten, war ein launiger Kameradschaftsgeist und beschaulicher Zigarrengeruch. Die Gruppe der Frauen dagegen war unfokussiert und strategielos.
    »Ach, Herrgottchen …«, sagte Freda und forderte Elspeth mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen.
    »Ich bleibe lieber stehen«,

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