Fremden Kind
sagte Elspeth, nahm ihre Kaffeetasse, lehnte leicht schaudernd einen Likör ab und begab sich zur oberflächlichen Inspektion des Wandschmucks und der Bilder ans andere Ende des Raums. Mattocks besaß selbst verständlich eine recht anspruchsvolle Sammlung von Gemäl den, merkwürdigen symbolistischen Werken verschiedener europäischer Schulen. Wer sich dort umsah, tat es mit einer gewissen Bangigkeit.
»Und du, Kindchen?«, fragte Freda. »Noch ein bisschen Ginger-Brandy?«
»Nein, danke, Mutter.«
»Nein, ganz bestimmt nicht!«, sagte Elspeth.
»Na gut«, sagte Daphne, »aber nur ein Schlückchen, Mutter, vielen Dank.«
Elspeth war kampfeslustig, doch nicht so leicht zu erschüttern. Sie kehrte zurück von ihrer Exkursion und ließ sich auf der Kante einer Fensterbank nieder. Kerzengerade, elegant gekleidet, in gedeckten grauen Farben, hatte sie etwas von Harrys Schönheit und Scharfäugigkeit, und, zugegebenermaßen, Kühle. »Ich finde Ihren jungen Dichter bemerkenswert«, sagte sie.
»Ja, sehr bemerkenswert«, sagte Freda, schlürfte den obers ten Rand eines gefährlich vollen Glases Cointreau ab und setzte sich vorsichtig hin. »Er hat hier ziemlich großen Ein druck gemacht.«
»Und er hat Charme«, sagte Elspeth. »Aber wiederum nicht übertrieben.«
»Ich finde ihn äußerst charmant«, sagte Daphne.
Freda sah ihre Tochter an, die erhitzt schien und leicht verwegen, als hätte sie bereits ein Glas zu viel getrunken. In der unbestimmten Absicht, sie zu ärgern, sagte sie: »Daphne findet ihn charmant, aber meint, er rede zu laut.«
»Ach, Mutter!«, sagte Daphne. »Da kannte ich ihn doch noch gar nicht.«
»Er ist erst seit gestern Abend hier, mein Lämmchen«, stellte Freda klar. »Wir können ihn also noch gar nicht gut kennen.«
»Ich habe aber das Gefühl, dass ich ihn kenne«, trotzte Daphne.
»Wie man sieht, hängt George sehr an ihm«, sagte Elspeth. »Eine Freundschaft ganz à la Cambridge.«
»George bewundert ihn natürlich«, sagte Freda. »Cecil hat aber auch viel für ihn getan. Ihm hier und da unter die Arme gegriffen und so weiter …«
Elspeth nippte an ihrem Kaffee. »Ich würde sagen, es grenzt an Heldenverehrung auf Georges Seite, meinen Sie nicht?«
Es ließ George in einem wenig schmeichelhaften Licht erscheinen. »George ist nicht dumm!«, sagte Freda. Sie sah wieder Daphne an, die an irgendetwas Vergnügen fand, was man ihrem Gesicht ablesen konnte, so wie ein Kind, das wieder und wieder eine neue Phrase, einen neuen Gedanken aufgriff.
»Oh, ich glaube, es ist eindeutig Heldenverehrung«, sagte Daphne mit einem freimütigen Kopfnicken. Von der Halle klang allgemeines röhrendes Gelächter herüber, was die Versuche der Damen, sich zu amüsieren, umso hilfloser erscheinen ließ. »Worüber die sich wohl unterhalten?«, sagte Daphne.
»Besser, man erfährt es nicht, was meinst du?«, sagte Freda.
»Was könnte das denn sein, was angeblich nicht für unsere Ohren bestimmt ist?«, fragte Daphne.
»Alles Unsinn«, sagte Elspeth.
»Was denn, meine Liebe?«
»Sie wissen schon«, sagte Elspeth.
»Glauben Sie, dass die sich über Frauen unterhalten?«, fragte Daphne.
»In dem Fall müssten sie aber sehr unterhaltsame Weiber kennen«, sagte Freda, als die nächste Lachsalve erfolgte. Sie hatte ein ungutes Gefühl bei Harry, der sich ihr gegenüber immer so seriös gab, aber wenn mal keine Damen zugegen waren, fast ein anderer Mensch zu sein schien. »Frank sagte immer, das Geheimnis bestehe darin, dass die Herren der Schöpfung uns nicht langweilen wollten, sich aber durchaus nicht zu schade seien, sich untereinander zu langweilen. Er hat sie stets rasch abgefertigt. Er wollte immer zurück zu den Damen.« Es war ein außerordentlich scharfsichtiger Gedanke.
»Haben Sie auch viele Abendgesellschaften bei sich, Miss Hewitt?«, fragte Daphne vorgeblich gleichgültig.
»Auf Mattocks? Nein, nicht allzu viele«, sagte Elspeth. »Der arme Harry ist viel zu beschäftigt, und er ist oft auf Reisen.«
»Ach, Sie Arme! Dann dinieren Sie also in grandioser Einsamkeit«, sagte Freda. »In diesem Palast …«
»Ich kann nicht behaupten, dass es mir etwas ausmacht«, erwiderte Elspeth trocken.
»Zwischen all Ihren herrlichen Bildern«, setzte Daphne, den Bogen, nach Fredas Einschätzung, leicht überspannend, noch einen drauf. »Harry muss ja wirklich ausgezeichnet dastehen …«, sagte Freda.
In Elspeth ballte sich aller Stolz zusammen, und indem sie sich erhob, um die
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