Fremden Kind
Kaffeetasse abzustellen, wischte sie höchst wirkungsvoll die Frage nach dem Erfolg ihres Bruders beiseite. »Und was ich Sie noch fragen wollte, meine Liebe«, sagte Freda, und es klang aufgesetzt in ihren Ohren, »Ihr Kostüm – stammt es von unserer patenten Madame Claire?«
Elspeth rümpfte, vermeintlich um Verzeihung bittend, die Nase. »Lucille«, sagte sie.
»Ach so.«
»Oh, ja«, sagte Elspeth, »ich kann nicht leugnen, dass Harry mich stilvoll ausstattet.«
»Allerdings!«, sagte Freda, und es breitete sich das Gefühl in ihr aus, in ihre Schranken gewiesen worden zu sein. Möglicherweise hatte Elspeth damit nur andeuten wollen, Harry würde für seine eigene Frau das Gleiche tun, doch Freda hatte die Botschaft klar verstanden, dass sie nämlich nicht die geringste Chance hätte.
Das Geräusch einer sich öffnenden Tür war zu hören, und Daphne sagte: »Ah, da kommen die Herren.«
»Ah, ja«, sagte Freda und schaute zu der eintretenden Gruppe verschwiegen lächelnder Gentlemen auf. Es war, als hätten sie eine Entscheidung getroffen, aber seien nicht berechtigt, sie mitzuteilen. Harry ließ Cecil den Vortritt und wartete einen Moment, um anschließend auch Hubert den Vortritt zu lassen, den Arm locker um seine Schulter gelegt, wie um ihm zu danken und ihn zu stützen. Huey hatte mehr als sonst getrunken, schien erhitzt und verunsichert als Gastgeber dreier Männer, die intelligenter waren als er. »Also …«, sagte er, wohl genauso froh, wie es sein Vater gewesen wäre, diesen Teil des Abends überstanden zu haben. »Also, wie sollen wir vorgehen?«
Man besprach kurz, wo Cecil sitzen und wie man die Stühle anordnen sollte. George meinte, es sei unerträglich warm im Zimmer, und öffnete die Terrassentür. »Sollen wir uns nicht nach draußen setzen?«, sagte Daphne.
»Sei nicht albern«, sagte Freda. Die Lesung allein barg schon Risiken genug. Sie beobachtete Harry, in der Hoffnung, er würde nach der Aufstellung der Stühle neben ihr sitzen. Mit einer gekonnten Umarmung griff Harry sich einen kleinen Lehnstuhl und spürte, als er ihn hochhob, ein angenehmes Ziehen in den Beinen. Ein lockerer Halbkreis formierte sich vor der Terrassentür. Cecil stellte eine Lampe auf einen kleinen Tisch, fast schon draußen auf dem Pflasterweg, daneben einen Stuhl. Ein Miniaturtheater: Die Lampe beleuchtete die Stauden, die Malvenstängel und die Lampionblumen unmittelbar hinter ihm, wodurch alles andere im tieferen Raum über ihm umso dunkler erschien.
»Auf besonderen Wunsch«, sagte Cecil mit einem vertrauensvollen Blick zu Harry, »lese ich ein, zwei eigene Gedichte, bevor wir uns zu Tennysons Höhen aufschwingen.« Er setzte sich hin und hielt, ein Stück von sich gestreckt, eine Ausgabe der Zeitschrift Granta unter die Lampe. »Ich hoffe, Sie finden es nicht unbescheiden, wenn ich ein Gedicht über Corley vortrage. Der Ort scheint einen zu Gedichten geradezu zu animieren – irgendwie.« Diverse Zurufe der Nachsicht und des Respekts waren zu vernehmen. Cecil hob das Kinn, zog die Augenbrauen hoch, und als würde er sich an eine Versammlung oder gar Gemeinde von hundert und noch mehr Menschen wenden, setzte er an: »Die Lichter von daheim! daheim! / Im Park strahlt meilenweit ihr Schein, / Im Wald, der riecht nach Erde schwer, / Die unterm Hufschlag kaum zu sehn, / Wie ich im Corley-Wald geschwind / Den Heimweg durch das Dunkel find.« Die Wirkung war unmittelbar. Cecil psalmodierte die Worte wie ein Priester, ohne den leisesten Hinweis auf ihre Bedeutung, sodass Freda völlig ratlos war, wovon er eigentlich sprach. Ihr Blick wanderte hinüber zu Daphne, die, von ihren Gefühlen plötzlich übermannt, verle gen schmunzelte und blinzelte. Hubert schien zunächst für Se kunden ziemlich erstaunt, legte dann jäh skeptisch die Stirn in Falten, als wollte er das Gehörte an bereits Bekanntem mes sen. Harry und Elspeth, mit literarischen Soireen vertrauter als die anderen, setzten ein ruhiges genießerisches, angedeutetes Lächeln auf. George hatte sich so postiert, dass er unmittelbar in den Garten schauen konnte, sein Gesicht war abgewandt. Lag es nur am Schein der Lampe, dass seine Ohren feuerrot glühten?
Freda trank verstohlen einen stärkenden Schluck aus ihrem Glas und lächelte beifällig in Cecils Richtung. Es war immer dasselbe, wenn man ihr vorlas, selbst bei eher nachdenklicheren und intimeren Lesungen: Zuerst konnte sie kaum etwas aufnehmen, wie blockiert durch ihre Konzentration; dann beruhigte
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