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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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verfolgt?«
    »Auf sündige Gedanken bin ich erst gekommen, als ich dich kennenlernte«, sagte George. »Das heißt, als ich sah, wie du mich schamlos und sehnsüchtig quer über den Rasen angestarrt hast.« Es war ein Lieblingsthema der beiden, eine Lieblingsszene, ihr privater Ursprungsmythos, wobei seine Künstlichkeit gerade seinen erotischen Charme ausmachte. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass du eines Tages mein Fürsprecher in der Conversazione Society sein würdest.« Mitt lerweile waren sie an Miss Nichols’ Cottage angelangt. George nahm Haltung an, denn er wusste, dass man sie beide von hier aus sehen konnte, nur war er sich unschlüssig, welchen Eindruck er auf Miss Nichols machen wollte. Er verspürte den halbherzigen Wunsch, sie zu erschrecken, lüpfte am Ende jedoch nur lässig den Hut und nickte.
    »Du warst so überaus … ansehnlich«, sagte Cecil, ließ den untergehakten Arm plötzlich fallen und kniff George kräftig in den Po.
    »So nennst du das also?«, sagte George, wand sich los und blickte sich rasch um.
    »Ja. Von deinem Bruder Hubert würde ich nicht gerade sagen, dass er besonders ansehnlich ist.«
    »Nein«, sagte George nachdrücklich.
    »Außer seinem Schnurrbart, in den könnte man sich glatt ein bisschen verlieben.«
    »Das Thema brauchst du gar nicht erst zu vertiefen«, protestierte George. »Das hast du nur gesagt, weil ich mal gesagt habe, Dudley habe prächtige Beine. Ich glaube, der arme Hubert hatte noch nie einen Verehrer. Außerdem ist er ein Schürzenjäger, durch und durch.« Sie lachten wieder ungehemmt, verliebt auch, über ihre salopp alberne Sprache. George spürte eine Welle des Glücks in sich aufsteigen.
    »In dem Punkt liegst du allerdings falsch«, sagte Cecil.
    »In welchem?«
    Cecil sah sich um. »Was deinen Bruder betrifft. Ich würde sogar sagen, Hubert hat einen stürmischen Verehrer – in der Person von Mr Harry Hewitt.«
    »Was? Harry? Niemals. Harry ist hinter meiner Mutter her.«
    »Ich weiß, das ist ja der Sinn der Sache. Deine Schwester ist deswegen ganz krank vor Sorge. Aber ich kann ihr versichern, dass das gar nicht nötig ist.«
    »Ich weiß nicht, wie du auf diese Idee kommst.«
    »Zum einen sein Kunstgeschmack. Er hat mir gesagt, was er vornehmlich sammelt. Aber hauptsächlich, offen gestanden, hat mich etwas anderes darauf gebracht. Er neigt dazu, deinen Bruder bei jeder sich bietenden Gelegenheit grob zu behandeln.«
    »Tut er das wirklich?«, wies George den Vorwurf mit einem Stirnrunzeln, aber auch dem dumpfen Gefühl, dass sich eine Ahnung bestätigte, zurück. »Er ist immerhin sehr freigebig ihm gegenüber.«
    »Mein Lieber, der Mann muss der durchtriebenste Sodomit in ganz Harrow sein.«
    »Ein schwerwiegender Vorwurf!«, sagte George, um Zeit zu schinden.
    »Zufällig habe ich eine Situation nach dem Dinner mitbekommen, bei dem, ich schwöre es, das alte Ungeheuer versucht hat, ihn in der Kaminecke zu küssen. Sie hatten keine Ahnung, dass ich sie beobachtete. Der arme Hubert war zutiefst entrüstet.«
    George konnte sich nicht halten vor Lachen. »Harry nennst du alt?«, sagte er. »Ich vermute, der Mann ist keine vierzig.« Cecils typische Art, andere Leute vor den Kopf zu stoßen, und seine leicht gebieterisch wirkende Weltgewandtheit riefen beim Gegenüber ihre spezifische Folge von Widerspruch, Zugeständnis und in diesem Fall noch heitere Erleichterung hervor. Cecil hatte immer recht. Und selbstverständlich hatte die Situation auch etwas pervers Köstliches. Erst später erkannte George die Gefahr für seine Mutter. »Das ist wirklich allerhand«, sagte er.
    »Allerdings«, sagte Cecil und bedachte ihn mit einem langen nüchternen Blick, als hätte er es mit einem Idioten zu tun. Sie kamen an den mit Greifen besetzten Torpfosten von Stanmore Hall vorbei, einem Herrenhaus, fast so imposant wie Corley Court; Cecil spähte über den Rasen hinein, und falls das aus Neugier geschah, ließ er es sich nicht anmerken. Er war wie geblendet von seinem kleinen Triumph, was Harry betraf. Die Sawles kannten die Hadleighs kaum; zu ihren Bekannten an diesem Ende des Ortes gehörten Mrs Wye, die Näharbeiten annahm, und die Cattos, die Ziervögel züchteten, in einem Labyrinth aus Schuppen, Ställen und Ausläufen hinter ihrem Cottage; es waren Leute, die George seit seiner Kindheit sehr nahestanden, doch für seine gegenwärtigen Zwecke eher nutzlos und peinlich. Er betrachtete die vertrauten Wege und Stege, die Bäume, Mauern und weißen

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