Fremden Kind
entkommen zu lassen. George schien zu lauschen, den Kopf angehoben, den Blick argwöhnisch, die Augen umherwandernd, die Haltung befangen. Sie hörten ganz in der Nähe die Hunde bellen und aufeinander losgehen. Die blaue Bluse blitzte zwischen den Blättern auf, und der Mann rief laut: »Mary! Mary!« Es musste der Name der Frau sein, doch dann rief auch sie: »Mary! Mary!« Ein Hund namens Mary hatte unweigerlich etwas Komisches, vielleicht war er ja nach der Queen benannt. George kicherte leise, während er neben Cecil stand; sein Arm brannte vor Schmerz in Cecils festem Griff. Doch das war nichts im Vergleich zu der verlockenden Pein in seinen Schenkeln und seiner Brust, die Cecils körperliche Nähe, seine geschürzten Lippen und seine unverhohlene Erregung auslösten. George atmete schwer, in Stoßseufzern, sein Herz raste. Wieder vernahmen sie Hundekläffen, ein Stück weiter weg diesmal, und die Unterhaltung des Mannes und der Frau, nicht ihre Worte, nur die eigenartig flache Melodie der Ehe. Cecil schritt behutsam über den laub bedeckten Boden, hielt mit der Hand noch immer Georges Arm umklammert und schaute sich um. Sie waren dicht am Waldrand; unterhalb des grünen, lichtdurchlässigen Buchenblättersaums erkannte man das offene Feld. Dennoch, Cecil verhielt sich ein bisschen töricht – wenn Marys Besitzer überhaupt noch an die Begegnung von vorhin dachten, dann müsste es die Stille sein, die sie jetzt irritierte, dass George und Cecil wie vom Erdboden verschluckt waren.
»Lass uns lieber noch ein Stück weitergehen«, sagte Cecil. George seufzte und folgte ihm und rieb sich vorwurfsvoll das Handgelenk. Er merkte, dass diese kleine Posse der Besonnenheit, die Allüre des Waidmännischen lediglich Cecils Art war, die Oberhand zu gewinnen und einen Schauplatz zu beherrschen, den ausnahmsweise mal George ausgesucht hatte. Es waren seine Träume, seine Pläne: Erinnerungen gemischt mit Ideen und dem Wunsch, Neues auszuprobieren, was sie sonst vielleicht niemals gewagt hätten. Cecil wäre unter anderen Umständen dreister und direkter vorgegangen, bis zur Leichtfertigkeit. George ließ ihm den Vortritt, und Cecil ging voran, schob Zweige, die ihm im Weg waren, beiseite, aber hielt sie nicht fest für seinen Freund, sondern ließ sie zurückschnellen, als sollte er selbst auf sich aufpassen. Es war alles so neu, die Vorfreude getrübt von ihrem Gegenteil, kleinen Kränkungen und Widersprüchen, die anscheinend genauso zur Liebe gehörten wie der klare, anerkennende Blick. Er sah Cecils Rücken, das weite graue Leinenjackett, die dunk len Locken, die unter der Kappe hervorquollen, und meinte für einen Augenblick, einem Fremden hinterherzusteigen. Er wusste nicht, was er sagen sollte, sein Begehren war durch Befürchtungen getrübt, denn Cecil war fordernd und bisweilen gewalttätig. Jetzt waren sie an der umgestürzten Eiche angelangt, zu der George ihn auch auf einem viel kürzeren Weg hätte geleiten können. In einem Wintersturm vor vielen Jahren war sie umgeknickt, und er hatte sie im Laufe der Zeit unter den zerbrochenen Ästen im Boden versinken sehen, als hätte sich ein knorriges, der Länge nach hingestrecktes Ungeheuer auf seine eigenen faulenden Glieder gebettet. Cecil blieb stehen, zuckte vergnügt und fragend mit den Schultern, streifte das Jackett ab und hängte es an einen Aststumpf. Dann wandte er sich um und streckte ungeduldig die Hände aus.
»Das war sehr gut«, brummte Cecil, der bereits aufgestanden war, sich ein paar Schritte entfernte und oberflächlich seine Kleider in Ordnung brachte. Er blickte über die Wand aus niedrigem dichtem Gestrüpp hinweg, schmunzelte über ein Eichhörnchen, dehnte seinen Nacken in die eine und die andere Richtung und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er hatte eine ganz eigene Art, sofort auf Abstand zu gehen, und schien dem kurzen trostlosen Moment irrationaler Traurigkeit beinahe entgegenwirken zu wollen, indem er so tat, als sei gar nichts gewesen. Die Worte hätte er auch nach einem lediglich sättigenden Mahl sagen können, in Gedanken war er bereits bei Wichtigerem. Er straffte die Schultern, lächel te und schnäuzte sich. Das Eichhörnchen zuckte mit dem Schwanz, kletterte den Ast hinauf und schaute hinunter zu Cecil. Vielleicht hatte es seinen Auftritt die ganze Zeit ver folgt. Es sah aus, als applaudierte es mit seinen Pfoten. George, noch ausgestreckt auf seinem Blätterbett, beobachtete sie beide. Cecils Distanziertheit verwunderte ihn
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