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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Spießbeerensirup
vorsichtshalber nicht mischen lassen. Dahar hatte zwar nur davor
gewarnt, daß die Lösung ausfällen konnte, aber es
konnte auch nicht schaden, wenn die Bestandteile frisch gemischt
wurden. Sie konnte sich nur allzu gut vorstellen, wie sehr sich SaSa
grämte; allein in diesem verriegelten Zimmer zu hocken, in
dieser großen leeren Halle, ein Kind noch, kleiner als
Embri… Sie stieg die Leiter hinauf und ging in ihr Zimmer.
Morgen, wenn alle zur Unterrichtshalle strömten, würde sie
zu SaSa gehen…
    Vorsichtig stieg sie über einen Wust aus Drähten,
Elektromagneten und einfachen, kleinen Motoren, die sie auf Anregung
von Grax gebastelt hatte, und stellte die Becher in die leere Ecke
dahinter. Dann setzte sie sich auf ein Kissen, lehnte sich mit dem
Rücken an die Wand und schloß die Augen. Bilder kreisten
in ihrem Kopf. Der weiße Barbar; das entsetzte und verzweifelte
Kind; Dahar draußen an der Stadtmauer; SaSa in ihren Armen, als
man ihren Liebling holte; SaSa, die sich mit dem Mut der Verzweiflung
auf Grax stürzte; Grax, der die Welt erklären konnte, aber
SaSa nicht sagen wollte, was er mit ihrem Liebling vorhatte; Grax,
wie er auf etwas zu lauschen schien, das außer ihm niemand
hören konnte, so aufmerksam und…
    Er hatte tatsächlich gelauscht!
    Ayrid riß die Augen auf und setzte sich vor. Natürlich,
Grax hatte nicht bloß so ausgesehen wie jemand, der lauscht
– er hatte wirklich gelauscht. In seinem durchsichtigen
Wroffhelm gab es irgendein Gerät, das… na ja, das eben
Geräusche machte. Sie hatte doch selbst Elektromagnete gebaut,
die klicken und summen konnten; die Geds hatten bestimmt Apparate,
die noch andere Geräusche machen konnten. Aber wo waren die
Drähte und die elektrischen Zellen?
    Das war ja zum Totlachen. Die Geds lösten Wände auf und
hatten den Himmel von R’Frow gebaut. Sie brauchten keinen
Draht.
    Gut, aber andererseits, was bekam Grax denn zu hören?
Geräusche? Stimmen vielleicht? War das denkbar?
    Gab es etwas, was die Geds nicht konnten? Bestimmt. Sie
konnten zum Beispiel keine Menschenluft atmen… Aber gesetzt den
Fall, es waren Stimmen, die aus den Apparaten kamen, wem
gehörten die Stimmen?
    Ayrid saß da und grübelte, bis ihr der Schädel
brummte. Fragen über Fragen und keine Antworten.
    Sie konnte Grax fragen.
    Aber Grax hatte bis jetzt noch kein Wort darüber verloren,
daß er in seinem Helm Stimmen hören konnte. Andererseits
hüllte er sich immer in Schweigen, wenn er nicht gefragt wurde.
Warum sollte er den Menschen alles erzählen? Warum sollte er den
Menschen etwas verschweigen?
    Wieder nur Fragen, auf die sie keine Antwort wußte.
    Sie versuchte zu schlafen, aber sie konnte nicht schlafen. Sie lag
hellwach auf den Kissen, als jemand die Tür öffnete.
    »Hallo, Ayrid.«
    Kelovar stand im Zimmer. Unwillkürlich warf sie einen
gänzlich überflüssigen Blick auf die Tür hinter
ihm. Sie war natürlich verschlossen gewesen. Wenn man sich
einmal das Daumenschloß mit jemandem geteilt hatte, war das
nicht mehr rückgängig zu machen.
    »Kelovar, ich habe dich gebeten, nicht mehr in mein Zimmer zu
kommen.«
    »Ich weiß. Aber es ist wichtig, Ayrid.«
    Froh, sich nicht ausgezogen zu haben, stand sie auf und sah ihn
neugierig an. Die blassen Augen hatten einen merkwürdigen Glanz,
aber das übrige Gesicht war von Erschöpfung gezeichnet. Wie
Dahars Gesicht. Aber anders als bei Dahar ging von ihm etwas
Beängstigendes aus – etwas, das sie auf Abstand hielt. Sie
hatte plötzlich den seltsamen Eindruck, als könnten ihm die
Monate in R’Frow ähnlich schlecht bekommen sein wie diesem
Strauch neben dem Ballonkraut – als seien all seine weichen und
grünen Triebe unter dem trüben Licht von R’Frow
verwelkt. Sie verscheuchte diese Vorstellung. Die Geschenke der
Gedwissenschaft gingen zwar an den meisten Menschen vorbei, aber
konnten sie auch einen Menschen verderben?
    Vielleicht, sagte ihr eine innere Stimme. Wenn er
weiß, was ihm entgeht.
    »Ich muß dich warnen«, sagte Kelovar.
»Deshalb bin ich hier.«
    Lähmende Angst beschlich Ayrid. Hatte jemand ihr
Gespräch mit Dahar beobachtet, wie er ihren Arm gehalten
hatte…?
    »Nach Einbruch der Dunkelheit darf niemand mehr das
Territorium verlassen, Ayrid. Auch du nicht. Weder um irgendwelchen
Gedkram zu holen noch aus einem anderen Grund. Dein Spielzeug hier
kann warten, bis die Grenze wieder offen ist. Laß das also in
Zukunft bleiben, hörst du?«
    »Woher weißt du, daß ich fortwollte?«

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