Fremdes Licht
Zu
blöde… wenn Kelovar zu Khalids Stellvertreter
aufgerückt war, dann wußte er natürlich Bescheid.
Kelovar umfing sie mit einem Blick, den Ayrid kannte; doch ehe sie
etwas sagen konnte, begannen die Wände samtweich zu grollen:
»Menschen in R’Frow. Es ist zweimal getötet worden
in R’Frow, gegen den Willen der Geds. Die Geds haben dafür
die Verbannung angekündigt. Menschen bemühen sich, dem
Töten ein Ende zu machen. Die Geds werden abwarten und
beobachten. Niemand wird verbannt, solange die Geds abwarten und
beobachten.«
Kelovar biß die Zähne zusammen, seine Kiefermuskeln
arbeiteten. Ayrid wich einen Schritt zurück. Er sagte keinen
Ton, machte keine Bemerkung zu der Gedbotschaft, die wie üblich
dreimal in stoischer Ruhe wiederholt wurde. Dreimal, weil sie drei
Augen haben? fragte sich Ayrid und schluckte an einer komischen
Mischung aus Lachen und Aufatmen.
Derweil die Wände grollten, sah Kelovar sich langsam um und
ließ seinen Blick über all die Gedwissenschaft klettern
– all den Zinnober, mit dem Ayrid herumspielte. Als die
Wände stumm blieben, legte er ihr beide Hände auf die
Schultern. »Paß auf dich auf, Ayrid. Ich möchte
nicht, daß dir etwas zustößt.«
Sie wich zurück, und seine Hände fielen von ihr ab. Er
ließ die Arme baumeln.
»Ayrid…«
»Nein, Kelovar. Tut mir leid. Nicht heute nacht. Nie
mehr.«
»Das kann ich nicht glauben.«
»Glaube mir. Bitte. Nie mehr.«
Er ging. Ayrid kuschelte sich in ihre Kissen und versuchte zu
schlafen.
33
»Talot«, sagte Jehanna. »Nicht doch!«
Sie kniete neben den Kissen, hob eine Hand, um Talot übers
Haar zu streicheln, dann zog sie die Hand hilflos zurück. Talot
weinte nicht. Sie lag auf dem Bauch, das Gesicht in den Kissen,
rührte sich nicht und wollte keinen Trost. Sie hatte gar nichts
gewollt. Sie war von dem Krihundstreffen zurückgekommen,
beherrscht, mit trockenen Augen und bleich; bewundernswert, wie sie
sich in der Gewalt hatte. Ja, sie hatte Jehanna bestätigt, was
sich wie ein Lauffeuer unter den Jeliten verbreitet hatte. Sie hatte
Jallaludin ans Messer geliefert, und Khalid hatte ihn getötet.
Dahar war nicht nur degradiert worden, Belasir hatte ihn gnadenlos
aus der Kriegerschaft verstoßen. Alles stimmte.
»Talot…«
»Laß mich in Ruhe, Jehanna. Ich bin Kriegerin.
Kränke mich nicht mit dem Gesäusel einer Hure.«
Jehanna verstummte. Talot hatte recht. Talot war Kriegerin, und
Weichherzigkeit war etwas für Bürger und Huren. So war es
seit eh und je. Nur…
Nur warum war in R’Frow alles so viel tückischer, als es
in Jela gewesen war? Pfui! R’Frow war heimtückisch,
heimtückisch wie Delysia. Kriegerinnen wußten, was sie zu
tun und zu empfinden hatten, und dann taten und empfanden sie es. Das
galt für sie. Das galt für Talot.
Aber das war ja das Tückische – Talot verhielt sich
richtig. Eine Kriegerin mußte zusehen, wie sie mit ihren
inneren Verletzungen zurechtkam, und zwar allein. Und genau das
wollte Talot, nichts anderes. Warum also fühlte sie, Jehanna,
sich so mies bei dem Gedanken, Talot ihren Willen zu tun? Warum war
sie von diesem dämlichen Wunsch besessen, irgend etwas für
Talot zu tun, wenn Talot das gar nicht wollte, und wenn es ohnehin
nichts Gescheites gab, was sie für Talot tun konnte?
Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Nichts in R’Frow ging
mit rechten Dingen zu.
Und während die Wände grollend verkündeten,
daß die Geds vorerst von einer Verbannung absahen, hob Talot
nicht einmal den Kopf. Sie lag völlig regungslos da. Als ginge
sie die Botschaft nichts an. Jehanna lauschte stumm und versteinert.
Es gab sonst nichts zu tun. Und wenn doch, dann durfte sie nicht
daran denken.
34
SaSa öffnete die Türe einen winzigen Spaltbreit und
spähte in den Korridor hinaus. Er war leer. Sie wartete, das
Herz klopfte ihr bis zum Hals, und sie kämpfte mit ihren
Händen. Immer wieder zuckten sie, um die Tür wieder ins
Schloß zu stoßen, und ebenso oft zwang SaSa sie dazu,
innezuhalten. Vor Angst sah sie alles verschwommen, die Wände
des Korridors bekamen Bäuche und Gruben, als atme das Metall.
Doch selbst diese schreckliche Vorstellung konnte SaSa nicht
aufhalten. Mochten die Wände atmen, es war wenigstens still im
Korridor. Die Stille war ihr geblieben.
Die Stille, die er ihr geschenkt hatte.
Er war nicht heimgekommen. Die ganze Nacht über hatte sie
verängstigt in einer Ecke ihres Zimmers gekauert, war nicht
einmal aufgestanden, um sich in eine Decke
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