Fremdes Licht
zu wickeln, hatte nur
dagekauert und wie gelähmt auf die dunkle, pelzige Stimme
gelauert. Er hatte die Stimme zum Schweigen gebracht. Jetzt,
wo er nicht da war, würde sie sich wieder zu Wort melden,
würde ihr keine Ruhe lassen, würde sie wieder drängen,
Dinge zu tun, die weh taten, so wie damals, als sie ihr
eingeflüstert hatte, die Bruderkrieger auszusperren – wie
damals, als sie ihr eingeflüstert hatte, die Savanne zu
durchqueren und nach R’Frow zu gehen – wie damals, als sie
ihr eingeflüstert hatte, daß sie keine Hure zu sein
brauchte.
Doch die Stimme war ausgeblieben. Und in dieser heilsamen Stille,
als die Nacht schon zur Neige ging, da war ab und zu die Angst ein
wenig abgerückt von SaSa, nur ein kleines bißchen, gerade
soviel, daß SaSa wieder denken konnte.
Er war nicht heimgekommen. Und der Grund, warum er nicht heimkam,
war der, daß diese Monster ihn nicht gehen ließen. Sie
hielten ihn gefangen.
Aber sie war auch eine Gefangene gewesen, und er hatte sie befreit. Er hatte sie mitgenommen, er hatte
sie beschützt, und er hatte ihr diese wunderschöne
Stille beschert. Er hatte sie gerettet.
Und wann immer ihre Gedanken an diesen Punkt gelangt waren –
wie sie so zerquält und fröstelnd dagekauert hatte in ihrer
Ecke –, da hatte sie gewußt, was sie als nächstes
denken würde, und war von panischer Angst übermannt worden;
die Angst hatte ihr den Verstand gelähmt, die Angst vor dem
nächsten Gedanken, und solange ihr Verstand gelähmt gewesen
war, da hatte sie nicht zu denken brauchen, was sie im Grunde ihres
Herzens schon immer gewußt hatte.
Aber allmählich war die Angst der Einsicht gewichen,
daß dieser nächste Gedanke unausweichlich war, er war so
unabweisbar wie dereinst diese dunkle, pelzige Stimme. Und SaSa hatte
sich nicht länger verweigert, hatte ihm zugehört,
zuhören müssen, und er hatte ihr
unmißverständlich gesagt, was sie zu tun hatte. Und er tat
es immer noch.
Es gab kein Entrinnen. Sie mußte es tun. Er hatte
sie gerettet.
Ihre kleinen, nackten Füße huschten lautlos über
den Boden. Sie lauschte eine Zeitlang am Kopf der Leiter, kletterte
schließlich hinunter, stand schaudernd in der unteren Halle,
die dünnen Arme um den Leib geschlungen, die schwarzen Augen vor
Angst geweitet.
Die Morgendämmerung hatte kaum begonnen. Die Halle war
düster und kühl, alle Einzelheiten verloren sich im
Halbdunkel – bis auf den glühenden Kreis oben neben der
Leiter. Anders als der in ihrem Zimmer, stand dieser hier ein wenig
von der Wand ab, wie ein riesiger orangefarbener Ohrring.
Plötzlich machte ihr der Kreis Angst. Er war zu hell. Das
Orange war zu orange. Die Helligkeit, die Farbe – das war
plötzlich einfach zu laut für sie, das war wie Lärm in
der Stille, die er ihr geschenkt hatte. Sie hielt sich die
Ohren zu, aber der orangefarbene Lärm wurde nicht leiser.
Weiß – weiß müßte der Kreis sein.
Weiß, das war seine Farbe. Weiß war still.
Weiß tat nicht weh.
Mit einem raschen Kreuzgriff zog SaSa sich das weiße Kleid
über den Kopf. Sie trug nichts darunter. Ihre Finger, kaum
dicker als ihre Schlüsselbeinknochen, kneteten krampfhaft den
Stoff, dann stürzte sie zur Leiter, klomm hastig nach oben und
hängte das Kleid über den grellen Reifen.
Jetzt war er weiß. Außer Atem klammerte sie sich an
die Leiter.
Unten erklang ein einzelner Ton. Aus jedem Bodentischchen wuchsen
vier Schüsseln mit dampfendem Eintopf.
Langsam stieg SaSa die Leiter hinunter. Sie räumte das
erstbeste Tischchen ab. Bei dem Geruch drehte sich ihr Magen um. Die
Angst kehrte zurück.
Doch es gab kein Entrinnen. Der Gedanke hatte sich fest bei ihr
eingenistet, der Gedanke, mit dem sie so lange gerungen hatte. Es gab
kein Entrinnen.
SaSa kroch auf das leere Tischchen, legte sich auf die Seite, zog
die Knie ans Kinn und machte sich so klein und so flach wie
möglich und rückte sich solange zurecht, bis ihr kleiner
Körper nirgends mehr an den Rand des Tischchens kam. Sie
preßte alle Luft aus ihren Lungen. Nackt, winzig wie ein Kind,
lag sie da und wartete.
Sie wußte nicht, wie lange sie so dagelegen hatte, als der
gleiche Ton wieder erklang. Die Tischchen schienen aufzuweichen und
begannen die Schüsseln langsam wieder zu verschlucken. Sie sah,
wie sie unter die Tischkante sank, und einen schrecklichen Moment
lang war ihr, als sei sie nicht flach genug und das Metall könne
sich nicht über ihr schließen. Dann erlosch auch der
letzte Schimmer über ihr, und sie lag
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