Fremdes Licht
ganz klein zu machen, duckte sich,
und ihr Atem flog. Und mit einemmal begriff Ayrid, daß es Worte waren, vor denen SaSa sich fürchtete: Töne,
Geräusche, Reden. Sie wußte, was sie gesehen hatte,
wußte, wo sie es gesehen hatte, aber ihr Schweigen zu brechen
und dieses Was und Wo mit Worten zu beschreiben, das war ihr ein
Greuel.
»SaSa. Liebes… woher weißt du, daß Talot in
der Mauer ist?«
SaSa rang nach Luft. »Hab… hab sie da gesehen.«
»Du hast sie da gesehen? Du warst in der
Mauer?«
SaSa nickte.
»Wie bist du da reingekommen?«
»Durch ein Tischchen. Ich… ich wollte… Die Stimme,
halt mir die Stimme vom Leib…«
»Ich paß auf. Dir geschieht nichts. Du bist in die
Mauer gegangen, weil… – du wolltest deinen Liebling suchen,
richtig? Das war, als du das Wroffkästchen mitgebracht
hast.«
SaSa wollte nicken. Ayrid nahm sie in die Arme und herzte sie;
SaSa wehrte sich nicht, klammerte. Über ihnen hellte sich die
Kuppel auf; der Regen verlor, das Feuer gewann. Irgendwo in der Ferne
kreischte eine Frau.
»Die Stimme. Halt mir…«
»Pscht, keine Sorge. Hier bist du sicher, Liebes. Wir haben
wieder Dreitag, ich bin bei dir, ich bin da…« Als hielte
sie Embri in den Armen. Doch das sanfte Zureden schien nicht viel zu
nützen, denn im nächsten Augenblick rückte SaSa von
ihr ab, mit Augen, die wieder aussahen wie schwarz glasierte
Tonmurmeln. »Was gewährt wird«, flüsterte sie,
»… muß erwidert werden.«
SaSa war nicht Embri. Sie hatte auf ihre eigene, wunderliche Weise
Trost geschöpft.
Mit einer Stimme, die heiser war vor Mitleid und Bewunderung,
flüsterte Ayrid: »Wo ist Talot jetzt? Ist sie in dem Teil
der Mauer, wo man deinen Liebling hingebracht hat?«
SaSa nickte.
»Sie lebt?«
SaSa nickte.
»Ist sie da allein? Oder sind da auch all die anderen, die an
dieser… dieser Krätze erkrankt sind?«
»Alle.«
»Leben sie alle? SaSa?«
»Nein. Ein paar sind tot. Ein paar leben… aber nicht
richtig.«
»Nicht richtig? Was heißt das?«
SaSa brauchte lange für die Antwort. »Wie ich.«
Es verschlug Ayrid die Sprache. SaSa sah sie mit schwarzen
undurchdringlichen Augen an.
»Hat Talot dir das Haar gegeben? Was solltest du damit tun?
Zu Jehanna bringen?«
»Kriegerin«, sagte SaSa, und ihre Augen glitzerten.
SaSa schien die Kriegerinnen mehr zu hassen als die Krieger. Ayrid
konnte sich das nicht erklären. Sie war keine Jelitin, und sie
fand sich nicht zurecht in diesem Irrgarten aus Beziehungen und
Schranken, in diesem Verwirrspiel aus Licht und Schatten.
»SaSa. Du mußt diese Botschaft überbringen.
Nicht für Talot. Du tust es für mich, hörst du.
Für mich, SaSa!«
»Nicht zu einer Kriegerin. Nein.«
»Aber zu Dahar.«
SaSa saß wortlos da, und Ayrid hielt den Atem an. Dann hob
SaSa die Haarsträhne auf und verschwand zwischen den
Büschen.
Was großzügig gewährt wird, das muß
großzügig erwidert werden.
Ayrid legte die Wange an den nassen Boden. Was R’Frow ihnen
gewährt hatte, das hatte mit Großzügigkeit nichts zu
tun.
Die Geds hatten sie alle nur benutzt – Dahar, sie, Belasir
und Khalid, die Kranken in der Mauer. Aber wozu? Irgendwas hatten die
Geds mit den Kranken gemacht – nur mit denen in der Mauer. Aber
was? Wie ich, hatte SaSa gesagt. Drogen? Wie die Droge, die
sie nach Dahars Anweisungen für SaSa hatte brauen lassen –
umsonst allerdings. Wie die Droge, die ihr die junge
Kriegerpriesterin verabreicht hatte? Diese Droge hatte nicht nur die
Schmerzen in ihrem Bein betäubt, sie hatte auch auf ihren
Verstand gewirkt, hatte ihr die Zunge gelöst; das Gerücht
war alt, daß die Kriegerpriester Mixturen kannten, die
töten oder wahnsinnig machen konnten, entweder schleichend oder
sofort. Und was Menschen konnten, konnten die Geds schon lange…
Aber Drogen für Menschen? Menschen waren keine Geds. Menschen
atmeten eine andere Luft, sie mußten auch ein anderes Gehirn
haben, anderes Blut, andere Muskeln und andere Knochen… Ayrid
sah wieder den riesigen weißen Barbaren vor sich, wie er in die
Mauer getragen wurde, wo er gestorben war… Sie packte mit der
einen die Finger der anderen Hand und preßte, bis es weh
tat.
Dahar…
Andererseits hatten sie den Geds auch viel zu verdanken, sehr viel
sogar; die Geds hatten ihnen einen wahren Schatz an Wissen und
Können vermittelt, hatten jedem, der es wollte, geduldig die
Augen geöffnet. Aber warum? Was hatten die Geds davon?
Sie bemerkte, daß sie wie ein delysischer Händler
dachte, wie
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