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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Strauchwerk gab es
nichts zu sehen. Nichts, auch wenn das Ding nur wenige Schritt weit
von einem der meistbegangenen Pfade in R’Frow entfernt war. Von
hier aus ließ sich nichts beobachten.
    Das schlüpfrige und weiche Etwas war eine geknotete
Haarsträhne.
    Mit einemmal war die Angst wie weggeblasen. Sie strich über
das krause rote Haar. »Und da glaubst du ihr jedes Wort, ohne
weiteres, ohne den geringsten Beweis?«
    Ohne den geringsten Beweis.
    Die Zweige wurden auseinandergebogen. SaSa, so klein, daß
sie kaum etwas vom Strauchwerk verdrängte, schlüpfte
darunter, hockte sich neben Ayrid und starrte auf die regennasse
Strähne.
    Jeder andere hätte den Wandel im unkindlichen
Gesichtsausdruck dieses kindlichen Mädchens nicht bemerkt. Doch
Ayrid, die SaSa Zehnzyklus um Zehnzyklus um sich gehabt hatte, nahm
die Verhärtung der weichen Kieferlinie wahr und das
flüchtige Glitzern in den leeren schwarzen Augen.
    »Talot«, sagte Ayrid. SaSa hob das Gesicht. Die beiden
Frauen starrten einander an: Ayrid bäuchlings auf dem nassen
Boden, dreckverschmiert und blutig – SaSa, das schwarze Haar vom
Regen um den Kopf geklebt, teilnahmslos wie ein weißer
Stein.
    »Wie kommt das hierher, SaSa? Wie kommt Talots Haar
hierher?«
    SaSa schwieg.
    »Hast du es gesehen? Hast du gesehen, wie die Geds Talot
fortgebracht haben?«
    Schweigen.
    »Hast du gesehen, wie die Geds Talot in die Mauer gebracht
haben?«
    Keine Antwort.
    Ayrid holte tief Luft. Sie grapschte nach SaSas Handgelenk und war
nicht zum erstenmal darüber entsetzt, wie weit dabei der Daumen
über den Zeigefinger faßte. Sie hatte ein Kind vor sich.
Wie sehr durfte sie ein Kind unter Druck setzen? Und ohne viele Worte
zu machen, ohne sich zu verraten? Augenbinden machten
schließlich nicht taub. Und dieser Wroffstutzen war offen. Sie
erinnerte sich an die Lauschermiene, die Grax immer aufgesetzt
hatte.
    »SaSa, du bist Jelitin. Zwar keine Kriegerin« –
wieder dieses verstohlene Glitzern, der einzige Ausdruck von
Haß, den SaSa sich je hatte herausnehmen dürfen –,
»aber trotzdem eine Jelitin. Ich hab dir das Leben gerettet, als
du hilflos dagelegen hast, hab dir geholfen, als dein Liebling diesen
Anfall hatte – weißt du noch?«
    Sie reagierte nicht.
    »Ich habe dir geholfen. Wir führen dasselbe Schwert,
verbunden durch die Ehre des Lebens. Was… was gewährt wird,
das muß erwidert werden.«
    SaSa rührte sich nicht. Ayrid, die sich nicht sicher war, was
SaSa verstand und was nicht, oder wie sich diese verzweifelte
Unverfrorenheit auf einen Verstand auswirkte, zu dem sie nicht einmal
Zugang gehabt hatte, als er noch heil gewesen war, verstärkte
ihren Griff und redete drauflos. Sie konnte sich nicht – du
faselst von Sachen, von denen du keine Ahnung hast – an die
korrekte Formel erinnern. Es regnete jetzt stärker, doch nach
wie vor flackerte über ihnen der schaurige gelbe Widerschein von
Feuern.
    »Du mußt mir helfen, SaSa. Bei deiner Ehre. Was
großzügig gewährt wird, das muß
großzügig erwidert werden!«
    Mit einer ungestümen Verrenkung befreite SaSa ihr Handgelenk
und wich ins Strauchwerk zurück, die Zweige peitschten und
tanzten, dann war sie nicht mehr zu sehen.
    Ayrid preßte die Augen zu und zwang sich lautlos zu
zählen. Eins – zwei – drei – vier… Hinter ihren Augenlidern tanzten farbige Lichtwesen.
    Es knackte im Unterholz. SaSa war zurückgekommen, Blut und
Regen im bleichen Gesicht, die schwarzen Augen glitzerten vor Abscheu
und Seelenqual, und noch etwas glitzerte darin, etwas Unbeugsames,
Jelitisches, das Ayrid nie und nimmer verstehen würde. Sie
lebten – die schwarzen Augen waren wieder zum Leben erwacht.
Ayrid zwang sich, den Blick nicht abzuwenden. Verzeih mir,
SaSa.
    »Hilf mir auf den Pfad«, sagte Ayrid. Sie brauchte keine
Hilfe, aber sie wollte, daß SaSa in ihrer Nähe blieb.
Langsam kroch sie durch das Buschwerk schräg zum Pfad
zurück, bis sie so weit von dem lauschenden Wroffding entfernt
waren, wie es die drängenden Umstände erlaubten. Das Ziehen
und Zerren schickte einen dumpfen Schmerz in ihr Bein.
    Sie neigte den Mund nahe an SaSas Ohr. Das winzige Mädchen
zitterte nicht; nur die Augen verrieten, daß es in ihr
gärte.
    »SaSa«, flüsterte sie. »Ist Talot in der
Mauer?«
    SaSa nickte.
    »Haben die Geds sie dahingebracht?«
    SaSa nickte.
    »Hast du gesehen, wie sie dahingebracht wurde?«
    SaSa schüttelte den Kopf.
    »Woher weißt du dann, daß sie in der Mauer
ist?«
    Sie schien sich plötzlich

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