Fremdes Licht
gewährt
hast, kann ich niemals erwidern. Aber was immer du von mir verlangst,
ich werde es nach Kräften tun, Grax. Das gelobe ich.«
Eine Zeitlang blieb es still. Dann begann das Bibliothekshirn die
Unterhaltung zwischen Dahar und Ayrid zu übertragen. Was
bedeutete, daß es den Inhalt für signifikant hielt.
Ayrids Stimme: »… weißt nicht, was Jehanna gesagt
hat. Sie hat gesagt, die Geds hätten Talot, ihre beste Freundin,
in die Stadtmauer verschleppt. Talot ist da nicht freiwillig
hingegangen, sie wurde gezwungen. Warum? Woher willst du wissen, ob
die Menschen in der Mauer tatsächlich in Stasisfeldern liegen?
Woher wissen wir denn, ob die Geds uns nicht an der Nase
herumführen? Vielleicht steht Ged für
Hinterlist…«
Jemand bat das Bibliothekshirn, die Temperatur
herunterzufahren.
58
Ayrid wußte nicht, wie lange sie so dagesessen hatte im
Dunklen.
Als sie wieder aus der Leere, in der es kein R’Frow, keinen
Dahar, keine Embri gab, in die Gegenwart zurückfand, war es
wegen eines Pochens an der Tür, eines zaghaften aber
beharrlichen, als ob der Betreffende nicht wüßte, wovor er
mehr Angst hatte – davor, daß die Tür sich
öffnete oder daß sie sich nicht öffnete. Benommen
durchquerte Ayrid das Zimmer. Im orangefarbenen Licht des Flurs
kauerte SaSa, riesige schwarze Augen in einem totenblassen
Gesicht.
»Du hast ihn gehen sehen«, sagte Ayrid und begriff.
Dahar, ein bewaffneter Krieger, der zudem noch erregt war, war aus
dem Zimmer gekommen; was für Erinnerungen mochte das in der
Kindhure geweckt haben? Trotzdem war sie nicht fortgelaufen, um sich
zu verkriechen, trotzdem hatte sie Ayrid nicht im Stich gelassen, so
wenig wie einst den sterbenden Barbaren, als er sie nicht mehr
beschützen konnte.
»Es geht mir gut«, sagte Ayrid sanft. »Er hat mir
nicht weh getan.« Sie hörte, wie sehr ihre sanften Worte
der Wahrheit hohnsprachen.
»Wo ist er hingegangen, SaSa? Dahar – hast du gesehen,
wo er hingegangen ist?«
Die schwarzen Augen starrten sie an, nicht mehr ängstlich,
aber undurchdringlich und glänzend, wie glasierte
Tonmurmeln.
Plötzlich roch es brenzlig. Schräg gegenüber begann
der Stoff vor dem glühenden Kreis zu qualmen, und zwar in der
Mitte, wo er am straffsten auflag. Die Stelle verkohlte, der Stoff
fing Feuer. Brennende Fetzen fielen zu Boden, wo sie nicht den
geringsten Schaden anrichteten. Als der glühende Kreis
bloßlag, war der Spuk vorbei.
»Sie wollen uns sehen«, flüsterte Ayrid, die sich
dem glühenden Kreis genähert hatte; sie streckte die Hand
aus – die dunkle Mitte des Auges war noch warm, kühlte aber
rasch ab.
SaSa hatte kaum hingesehen. Sie nahm Ayrid bei der Hand und zerrte
sie den Flur hinunter.
Ayrid sagte unnötig schroff: »Wir können nirgends
hin, SaSa. Hörst du nicht? Wir können nirgends
hin!«
Doch mit einemmal wollte Ayrid dem Blick des glühenden
Kreises entrinnen, diesem Wroffgefängnis entfliehen – aber
wohin? Dahin fliehen, wovor sie geflohen waren? So ähnlich
mußte es Kelovar ergangen sein zwischen all den glühenden
Kreisen, gefangen in einer sterbenden Stadt, abgeschnitten von der
Außenwelt, abgeschnitten von jenem Kelovar, der er einmal
gewesen war. Er mußte gemerkt haben, was mit ihm vorging –
wie aus ihm ein anderer wurde, so unausweichlich, wie sich diese
Mikrolebewesen in der fiebrigen Wärme und der trüben
Helligkeit von R’Frow zu einer Plage entwickelt hatten. Menschen
brauchten Sonne!
Sonne! Nirgends gab es genug Sonne, nicht in R’Frow, nicht in
Jela, nicht in Delysia…
SaSa hatte sie aus dem Torbogen gezerrt. Ein seltsamer gelber
Lichtschein fingerte in den Himmel, der kein Himmel war.
»SaSa – was ist das?«
SaSa gab keine Antwort. Der Widerschein flackerte bis in den
Zenit, und in der Ferne stieg Rauch in die farblose Kuppel. Rufe und
Schreie waren zu hören.
Sie steckten R’Frow in Brand.
»Wer?« rief Ayrid. Der Feuerschein flackerte
südlich der Unterrichtshalle, also weder bei den jelitischen
noch bei den delysischen Hallen. »Wer?«
»Jela«, sagte SaSa laut und deutlich.
Verblüfft, SaSas Stimme zu hören, schwang Ayrid ihren
Stuhl herum. SaSa lächelte, und der lodernde Widerschein
ließ die kleinen, scharfen Zähne schimmern.
»Jelitische Bürger«, sagte Ayrid. »Dieselben,
die Belasir umgebracht haben. Weil die Krieger sie so… mit
Füßen getreten haben.«
SaSas Lächeln wurde breiter.
Ayrid lehnte sich aus dem Stuhl und befühlte das Gras; es war
so trocken, daß es
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