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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Regen, der kein Regen war, brachte feine
körnige Asche herunter.
    Behutsam griff sie wieder nach der Glasschmelze.
    Die Geds wollten Dahar mitnehmen. Dahar, sie, Tey, Krijin, Ilabor
und Lahab – die besten Köpfe in R’Frow. Doch selbst
die besten Köpfe konnten sich nicht vorstellen, daß es
etwas gab, worüber die Geds nicht Bescheid wußten. Hatten
die Geds bereits gewußt, daß das unbekannte Mikroleben
keine Quomsonne vertrug? Sie mußten es gewußt haben. Sie
hatten gewußt, wie der menschliche Organismus funktioniert und
welche Lichtverhältnisse zu ihm paßten…
    Sie hatten über den Zusammenhang zwischen menschlichem
Organismus und Licht Bescheid gewußt. Schon vorher. Bevor sie Gelegenheit gehabt hatten, die Menschen in R’Frow zu
studieren.
    Sie schloß die Augen, ihr war mit einemmal schwindlig. Die
Geds wollten sechs Menschen in ihrem Sternenboot mitnehmen, wollten
mit ihnen durch den Himmel zu anderen Welten segeln, mit Menschen,
die dachten wie andere Menschen. Da draußen, weit weg von Quom,
mußte es irgendwo andere Menschen geben, auf einer fernen Welt
mit sechzehn Stunden Helligkeit und acht Stunden Dunkelheit. Nicht
nur hier gab es Menschen, sondern auch da draußen irgendwo,
unter einer anderen, freundlicheren Sonne… unter fremden
Lichtverhältnissen. Aber nein, fremd waren die
Lichtverhältnisse von Quom; der menschliche Organismus war eher
an den anderen Rhythmus gewöhnt. Jeliten und Delysier waren es,
die in der Fremde lebten, unter fremdem Licht…
    Es überstieg ihr Vorstellungsvermögen, es rann ihr durch
die Finger. Die Idee war zu gewaltig. Ayrid spürte, wie ihr die
Gedanken entglitten, wie sie in Zweifel und Fragen zerbröselten,
dann teilte sich das Gestrüpp, und SaSa hockte sich zu ihr, das
schwarze Haar um den Kopf geklebt, Talots Strähne in der
Hand.
    »Fort«, sagte sie. »Der Krieger und der Bürger
sind fort. Sind in der Mauer bei den Geds.«

 
59
     
    Die Leitstelle flackerte im feurigen Schein der Wandschirme.
    Der künstliche Sprühregen hatte die lodernden Flammen zu
einem unruhigen, züngelnden Feuer dämpfen können.
Menschen, rußgeschwärzt und blutig, durchquerten das
Blickfeld. Stücke verkohlten Fleisches fielen ins verdorrte
Gras.
    Ein jelitischer Bürger schlich um die Ecke eines
Gebäudes, stand mit gezücktem Messer über zwei
reglosen Körpern, die bäuchlings dalagen. Vorsichtig, jeden
Moment bereit, die Flucht zu ergreifen, drehte er einen der beiden
Körper mit dem Fuß um. Der delysische Soldat starrte aus
einem blicklosen Auge in die Kuppel; das andere hing an einem
blutigen Fleischfetzen aus dem Kopf.
    Der Jelite starrte eine Weile auf die Leiche des Soldaten
hinunter, machte keine Anstalten, sie zu berühren. Dann drehte
er vorsichtig den anderen Körper um.
    Die Kriegerin gab noch Lebenszeichen von sich. Das Messer des
Soldaten steckte ihr bis zum Heft im Bauch. Sie blickte dem
Bürger ins Gesicht und dann an ihm vorbei in den Rauch und das
Licht der Kuppel. Ihre Lippen bewegten sich wortlos. Dem herben Zug
nach zu urteilen, der um ihren Mund lag, erteilte sie ihm einen
Befehl.
    Rasch kniete sich der Bürger hin. Er zog ihr das Messer aus
dem Leib, spuckte darauf und wartete; als sie hersah, schnitt er ihr
die Kehle durch. Eine schreckliche Wunde klaffte auf. Schaumiges Blut
sprudelte. Der Bürger fletschte grinsend die Zähne. Die
Kriegerin starrte ihn an. Dann brach ihr Blick, und sie
erschlaffte.
    Einer der Geds stöhnte, wie es nur Heranwachsende taten. Die
anderen vier, obwohl sie sich genauso elend fühlten,
rückten näher an ihn heran und versuchten, ihn zu
beruhigen, doch sein Leib sträubte sich, dem Verstand zu
gehorchen, und flüchtete sich in den genetischen Schock: eine
intelligente Spezies, die ihresgleichen abschlachtete. Dieser
moralisch und biologisch verwerfliche Tötungsakt fand nicht
einmal zwischen Angehörigen verschiedener Pseudospezies statt:
Hier hatte ein Jelite einen Jeliten getötet. Das Konstrukt der
Pseudospezies war ein besserer Harnisch gewesen, als man gedacht
hatte. Jetzt versagte er, und die genetische Abwehr – ebensosehr
ein Überlebensmechanismus wie ein opponierter Daumen –
reagierte spontan: eine intelligente Spezies, die ihresgleichen
abschlachtete.
    Der junge Ged verlor die Kontrolle über seine
Pheromondrüsen und erbrach einen Schwall von Gerüchen.
    »Signifikante Daten«, grollte das Bibliothekshirn mit
samtweicher Stimme. »Signifikante Daten, Matrixebene.«

 
60
     
    Ayrid griff schnell nach

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