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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Grax: »Ihr könnt ihm
doch helfen, oder?«
    Der Ged verzog keine Miene. »Wir müssen ihn zur
Stadtmauer tragen«, wiederholte er nur.
    Der Ged faßte unter die Achseln des Riesen, Dahar packte ihn
bei den Füßen. Natürlich, dachte Ayrid, deshalb hatte
Grax ihn mitgebracht – der Jelite war stark genug, um ihm beim
Tragen zu helfen. Aber Dahar war in schlechter Verfassung, es ging
ihm gar nicht gut, er schien am Rande seiner Kräfte zu sein.
Warum also Dahar und kein zweiter Ged? Was war in den Stunden
passiert, in denen sie sich mehr oder weniger erfolglos um den
Kranken gekümmert und eine widerborstige SaSa getröstet
hatte?
    Der Riese sackte durch, Dahar und Grax mußten nachfassen, er
war fast zu groß für die beiden. SaSa sah zu, ihr Gesicht
war starr und ausdruckslos. Ayrid hielt das nicht aus.
    »Grax, sag ihr, daß die Geds ihm helfen können!
Daß ihr euch mit Krankheiten auskennt. Sag ihr, was du uns im
Unterricht gezeigt hast…«
    Grax sah flüchtig auf, sagte aber nichts. Er hatte wieder
seine Lauschmiene aufgesetzt. Dahars Blick ruhte auf Ayrid, die SaSa
in den Armen hielt, und plötzlich fiel Ayrid ein, daß SaSa
eine Hure war und Dahar ein Bruderkrieger und was es damit auf sich
hatte. Mit der Erinnerung kam der Zorn wieder hoch, derselbe
verwegene Zorn, den Jehanna bei ihr ausgelöst hatte,
draußen in der Savanne; und auch diesmal stiftete der Zorn sie
wieder zu einer Keckheit an, die, wie Ayrid wußte, nicht lange
vorhielt.
    »Sie will wissen, ob er bei euch Medizin bekommt. Arznei. Nun sag schon, Grax!«
    Grax sah ihr trotz der Last in seinen Händen zwei, drei
Atemzüge lang offen in die Augen, er schien aufmerksam zu
lauschen.
    »Er bekommt Arznei bei uns.«
    »SaSa, hast du gehört, was er gesagt hat? Sie wollen ihm
helfen… nicht weinen… hörst du?«
    Sie weinte nicht. Ihre Augen waren trocken. Geräuschlos
verließ sie hinter dem Riesen das Zimmer, sah sich nicht nach
Ayrid um, die ihr folgte, und kümmerte sich auch nicht um die
Tür. Ayrid begriff: dieses Zimmer war für SaSa eine
Zuflucht gewesen, ein Ort, an dem sie sich völlig sicher
gefühlt hatte; nun spielte es keine Rolle mehr, ob die Tür
verschlossen war oder nicht. Sieh mal einer an! Die Geds hatten
also freien Zutritt – überall in R’Frow. Kein Zimmer
war vor ihnen sicher.
    Grax und Dahar schleppten den Riesen durch den Torbogen und
schlugen die Richtung zur Nordmauer ein. Es hatte aufgehört zu
regnen. Sie mußten aufpassen, daß sie nicht ausglitten
auf dem nassen Gras. Ayrid blickte in den Himmel, der keiner war; es
konnte später Nachmittag sein, sie war sich nicht sicher.
    An der Stadtmauer griff der Ged in seinen unsichtbaren
Schutzschild und förderte ein kleines, dunkles Kästchen
zutage. Ayrid hielt es zuerst für ein
Vergrößerungsgerät und warf Dahar unwillkürlich
einen Blick zu. Aber dieses Wroff war dunkler als das von den
Vergrößerungsgeräten, und auf zwei Seiten trug das
Kästchen lauter flache Vertiefungen. Grax setzte je einen Finger
in drei Vertiefungen, und ein kleiner Teil der inneren Mauer
löste sich auf.
    »Dieser Teil der Stadtmauer ist mit eurer Luft
gefüllt«, sagte Grax. »Komm, wir tragen ihn nach
innen.«
    Sie kamen in einen großen Raum, schmucklos und glatt und
leer bis auf die Gerüche. Ayrid blähte die
Nasenflügel. Krihunde! Der strenge Geruch war
allgegenwärtig, und von irgendwoher drang das gedämpfte,
wilde Kläffen in den Raum. Ein anderer Geruch überlagerte
diesen Gestank – der Geruch nach diesem Eintopf, der kein
Eintopf war. Als ob hier die Schüsseln gefüllt würden,
die auf den Tischen erschienen. Sie sah keine Schüsseln. Aber
vorhin, da hatte sie auch keinen Eingang in der Stadtmauer
gesehen.
    Nach Zehnzyklen regte sich wieder der alte Argwohn – ein
Argwohn, den der Alltag von R’Frow eingeschläfert hatte.
Sie besaßen eine solche Macht…
    Grax und Dahar legten ihre Last vorsichtig ab. Der Ged befingerte
wieder das dunkle Kästchen, und der Boden unter dem kranken
Albino wuchs zu einem großen Tisch heran. Die Atmung des Riesen
hatte sich verschlechtert. Sein Brustkorb pumpte, und das
Gekläff der Krihunde verlor sich zwischen den rasselnden
Atemzügen.
    »Ihr müßt jetzt gehen«, sagte Grax.
    SaSa rührte sich nicht.
    »Kann sie nicht bei ihm bleiben?« fragte Ayrid.
    »Nein.«
    »Warum nicht?« sagte Ayrid verärgert.
    »Nein«, wiederholte Grax, aber er sah sie nicht an
dabei. Sein Blick ruhte auf Dahar.
    »Aber sie würde…«
    »Nein.«
    SaSa

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