Fremdes Licht
der Leiter zu reißen, und dann, im letzten
Moment, fing er sich wieder.
Sie schafften ihn auf sein Zimmer, und SaSa warf sofort die
Tür ins Schloß.
»Leg ihn auf die Kissen«, sagte Ayrid. »Er hat
Schüttelfrost – nein, noch nicht, warte…«
In einer Ecke lag ein Stapel riesengroßer Decken.
Überall stapelte sich alles mögliche, als wolle SaSa diesen
Raum nur verlassen, wenn es unumgänglich war. Ayrid sah sich
neugierig um. Lebensmittel, Wasser, Decken aus prächtigem
Gedstoff, kleine Felle, Sandalen und Tongefäße – er
hatte geschickte Hände gehabt, der Barbar.
Gehabt?
»Er muß Arznei haben«, sagte Ayrid leise.
»Ich weiß nicht, was er hat, aber er braucht zumindest
einen Kräutersud für die Lungen – er muß
tüchtig schwitzen. Ein Kriegerpriester…«
SaSa warf ihr einen solch haßerfüllten Blick zu,
daß Ayrid erschrocken den Mund hielt. Aber der Haß hatte
nicht ihr gegolten. Sie versuchte es wieder.
»Wenigstens Essen. Gleich erscheint wieder die Mahlzeit auf
den Tischchen. Ich könnte was Warmes holen. Er muß was zu
sich nehmen.«
SaSa schwieg; ihr Blick flog hin und her zwischen der pumpenden
Brust des Riesen und seinen geschlossenen Augen. Ayrid öffnete
die Tür.
»Nein! Nein – mach zu!«
»Ich will nur schnell…«
SaSa hielt sich die Ohren zu. Nach einem kurzen Blick in das
Gesicht des Mädchens schlüpfte sie in den Flur und
schloß die Tür.
Unten in der Halle mußte sie ein wenig warten, bevor die
Mahlzeit erschien. In dieser Stille, dieser dunstigen Leere sah alles
viel fremdartiger aus als in einer Halle, in der es vor Menschen
wimmelte. Luft, Licht und Wände, alles sah grau aus. Nur der
Kreis in der Nähe der Leiter glühte. Draußen rauschte
der Regen. Auch die Bäume waren grau…
Sie nahm so viele Schüsseln mit heißem Eintopf, wie sie
auf einmal tragen konnte und balancierte damit die Leiter hinauf.
»SaSa, aufmachen. Ich bring was zu essen.«
»Geh fort!«
Verdutzt stand Ayrid in dem menschenleeren Flur, die dampfenden,
kühlen Metallschüsseln auf dem Unterarm balancierend.
»Aber ich hab doch warmes Essen dabei. Er muß was
essen oder er… Er muß essen. Mach auf,
SaSa!«
»Wer ist bei dir?«
Ayrid fragte sich zum erstenmal, ob das Mädchen gesund im
Kopf war. Die zaghafte Stimme, gedämpft durch die Tür, war
kaum zu hören gewesen.
»Niemand ist bei mir. Ich bin es, Ayrid, die delysische Frau,
die dir aus der Unterrichtshalle hierher geholfen hat.«
Frau. Delysisch. Machte sie ihr damit noch mehr Angst?
Ayrid wartete. Der graue Flur lag duster und still da.
Schließlich machte SaSa, das kleine Gesicht blaß vor
Angst, die Tür einen Spaltbreit auf. Ayrid schlüpfte
hinein, und SaSa schlug die Tür sofort wieder zu.
Der Kranke wollte nicht essen. Ayrid bot ihre ganze Geduld auf,
dann SaSa, dann wieder Ayrid. Wasser nahm er, wenn sie es ihm Tropfen
für Tropfen in den Mund gaben, aber zum Kauen schien er zu
schwach zu sein. Sein Atem hatte sich beruhigt, seit er dalag, aber
seine Haut war klamm, und von dem ganzen hingestreckten Koloß
regten sich nur die Augen. Farblos und unnatürlich wachsam
verfolgten sie jede Bewegung von SaSa, aber Ayrid war sich nicht
sicher, was er wirklich sah. Vermutlich war er nicht immer bei vollem
Bewußtsein. Merkwürdig, daß er nicht mal den Versuch
machte zu reden.
Auch daß Ayrid kein einziges Wort an ihn richtete.
Die Stunden vergingen, und die Stille zerrte an Ayrids Nerven. Der
geschlossene Raum, das stumme Leiden, diese Stille – das
alles erinnerte sie an eine Totengruft, dabei stand nicht mal fest,
ob der Barbar nun im Sterben lag oder nicht. Wieso sagte SaSa nichts
zu ihm? Wieso wimmerte oder summte sie nicht wenigstens, wenn sie
schon nicht die Beteuerungen wisperte, deren Trost nicht bloß
in der Melodie der Stimme lag, sondern auch im Überschwang der
Lüge?
Endlich kam Bewegung in den Riesen.
Sein Blick flackerte von SaSa zu Ayrid. Eine riesige Hand hob sich
von den Kissen, schwankte und fiel zurück. Sein Gesicht war eine
fürchterliche Grimasse der Anstrengung, als er die Hand erneut
über seine Brust hob und mit gespreizten Fingern eine rasche,
glatte Geste vollführte, als steige irgend etwas in die Luft
empor…
»Was?« sagte Ayrid. »Ich verstehe
nicht…«
Der Riese wiederholte die stumme Geste. Ayrid schüttelte den
Kopf. Er schloß verzweifelt die großen farblosen
Augen.
Nicht lange und er schlug sie wieder auf; und diesmal unternahm er
die doppelte Anstrengung, indem er beide
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