Fremdes Licht
Tod war voraussagbar, geradezu logisch
im Hinblick auf den biologischen Wissensstand der menschlichen
›Heiler‹. Und daß sich die Menschin mit Namen Ayrid
um den Albino kümmerte, mochte zwar als durchaus neues Faktum
gelten und als solches Eingang in das Bibliothekshirn finden,
widersprach aber nicht den bisherigen Daten. Denn der Riese
gehörte keiner der beiden Pseudospezies an.
»Wir sollten ihn holen.«
»Ja. Das sollten wir. In uns singt die Harmonie.«
»In uns singt die Harmonie.«
»Möge sie immer singen.«
»Sie wird auf immer singen. Wir könnten viel über
das menschliche Gehirn lernen.«
»Holen wir ihn jetzt?«
»So sagt es das Bibliothekshirn.«
»Ich bin der gleichen Meinung. In uns singt die
Harmonie.«
»Sie wird auf immer singen.«
Man hatte sich auf Grax geeinigt. Es war schmerzlich gewesen, die
siebzehn anderen zu verlassen, wo die Zeremonie für all die
Paarungen, die den Toten entgingen, wie ein kühler Luftzug an
den Konturen der Pheromone zerrte. Aber der Riese gehörte nun
mal zu seiner Klasse. Und das Bibliothekshirn hatte gemeldet,
daß der Mensch mit Namen Dahar in der verwaisten
Unterrichtshalle wartete. Und auf wen sollte er warten, wenn nicht
auf seinen Lehrer? Dahar konnte ihm beim Tragen helfen.
Dahar stand stocksteif im Flur vor dem Klassenraum, den er zwar
verschließen, aber nicht öffnen konnte. Kaum bog Grax um
die Ecke, da begann dieser Mensch schon zu reden, und zwar ohne jede
Spur kultivierter Ruhe, ohne auch nur mit einem einzigen seiner
Spezies in Harmonie zu singen, das haarige und zweiäugige
Gesicht so weiß wie die Haut des Albinos:
»Wir haben getötet. Werden uns die Geds jetzt aus
R’Frow verbannen?«
Grax trat näher. »Was ist passiert?« Natürlich
wußte man längst Bescheid; die zwei flachen weißen
Felsen auf der Lichtung enthielten das Umwelt-Kontrollsystem von
R’Frow und gehörten zur Peripherie des Bibliothekshirns.
Grax lauschte den Worten Dahars, hörte sich an, was er
längst wußte – ›Krihundspakt‹ -Tod –
Gewalt – und er schnupperte. Er roch seine eigenen Pheromone. Er
roch seine eigene Überraschung. Ein Mensch, der ihm
erzählte, was er schon wußte…
Zum Schluß fragte Dahar wieder: »Werden die Menschen
jetzt aus R’Frow verbannt?«
Grax schwieg.
»Werdet ihr uns verbannen? Grax… wir haben getan, was
wir konnten, um euch… um euch unseren guten Willen zu
beweisen.«
»Nein. Ihr werdet nicht aus R’Frow verbannt.«
Das Menschengesicht verzerrte sich, wie Grax es nie zuvor an einem
Menschen beobachtet hatte. Grax konnte sich keinen Reim darauf
machen.
»Du möchtest gerne bleiben«, sagte er und
schnupperte wieder an seinen Pheromonen. »Du interessierst dich
für die Wissenschaft. Du willst lernen.«
»Ja«, sagte Dahar, und diesmal verzog er keine
Miene.
Zu dumm! Kein Mensch war so wissensdurstig, so lernbegierig wie
dieser Dahar, und trotzdem hatten noch andere diesem ›Pakt‹
zugestimmt. Nicht einmal das Bibliothekshirn konnte sagen, wie diese
neuartige menschliche Kooperationsbereitschaft zum Zentralen
Widerspruch paßte.
… Grax platzte in eine düstere Wolke aus Gerüchen,
wie er sie in dieser Stärke noch nie auf Quom erlebt hatte:
Verwirrung, Kummer, Zorn. Die samtweiche Stimme des Bibliothekshirns
meldete laufend Neuigkeiten über die Niederlage der Flotte. Er
wurde mit Pheromonen überschwenglicher Freude
überschüttet, er erstickte geradezu im Überschwang,
zumal der seine noch hinzukam, als sei die Leitstelle ein Nest und er
ein verirrtes Junges, das wieder heimgefunden hatte.
»Grax, du bist zurück…«
»Wir singen in Harmonie…«
»Grax ist gekommen…«
»Grax…«
»In uns singt…«
Es brauchte Stunden, ehe sie mit dem methodischen Diskurs beginnen
konnten, und es brauchte noch mehr Stunden, um zu einem Resultat zu
kommen: Die sechs Menschen, die den ›Pakt‹ geschlossen
hatten, waren wichtige Studienobjekte. Ihr Leben hatte vorerst
Priorität. Um es zu schützen, durfte notfalls auch das
Bibliothekshirn intervenieren, eine Entscheidung, die man sich nicht
leicht gemacht hatte. Und die Geds, auf deren Klassen sich die sechs
verteilten, sollten das Denken dieser exzentrischen Wesen studieren,
indem sie ihren Äußerungen besondere Aufmerksamkeit
schenkten.
Die Leitstelle stank nach Erschöpfung. Endlich, zutiefst
erleichtert und voller Trauer, gaben die achtzehn dem kultivierten
Verlangen nach, das grelle Licht gegen ein intimes Halbdunkel zu
tauschen; kaum waren die
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