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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Dahar verfolgte diesen
unbändigen Willensakt, der sie zu sich selbst
zurückbrachte, zur Oberkommandierenden der jelitischen
Kriegerschar in dieser feindseligen Stadt R’Frow. Jetzt,
wußte Dahar, war sie durch nichts mehr zu erschüttern.
    »Generalin«, sagte er verzweifelt. »Laßt Euch
Zeit zum Nachdenken. Ich komme später zu Euch, in Eure Halle,
dann…«
    Wortlos warf sie sein Emblem auf den Boden und gab ihren Kriegern
ein Zeichen. Das Zeichen galt nicht für ihn. Er sah zu, wie sie
die Lichtung überquerten, in Richtung der jelitischen Hallen.
Ischak beeilte sich, an die linke Seite von Belasir zu kommen; er war jetzt der erste Stellvertreter des jelitischen Oberkommandos
in R’Frow.
    Die Wand zwischen den Dahars zerbröselte, und die
Gefühle kehrten zurück.
    Krihunde.
    Er stand neben dem toten Krieger, und aus der Himmelskuppel von
R’Frow fiel unablässig dieser feine Regen.

 
     
VIERTER TEIL
     
Doppelhelix
     
    Ich würde lieber eine einzige Ursache verstehen,
    als König von Persien zu sein.
    - DEMOKRIT VON ABDERA

 
29
     
    Wann immer der Barbar torkelte, stemmte sich eine der beiden
Frauen gegen ihn, bis es der jeweils anderen gelang, ihn wieder ein
Stück weit den Wroffpfad entlangzuzerren. Während sie sich
gegen diesen Koloß stemmte, um ihn in der Balance zu halten,
wunderte Ayrid sich, daß sie keine Angst hatte. Jedesmal, wenn
sie sich in den Riesen hineinstützte, streifte ihr das
weiße Haar seines Unterarms über die Wange. Er roch
männlich, aber nicht krank. Von der anderen Seite umklammerte
SaSa seine Taille – mit kleinen Mädchenhänden, die an
Embri erinnerten. SaSa hatte Angst, entsetzliche Angst, Ayrid
spürte das trotz des Riesen, der zwischen ihnen war. Ayrid
redete an dem schwankenden Koloß vorbei mit dem Mädchen,
das sie nicht sehen konnte.
    »Er riecht nicht krank – wirklich nicht. Hat er schon
mal so einen… einen Anfall gehabt?«
    »Ja«, sagte SaSa. Ayrid konnte sie kaum hören.
    »Hast du irgendeine Arznei dafür? Oder er? Oder einer
von euren Kriegerpriestern…« Ayrid stockte. SaSa war eine
jelitische Hure; ob sich ein Kriegerpriester überhaupt um eine
Hure kümmerte, oder um einen Fremden, der sich eine Hure
gestohlen hatte? Und falls jelitische Borniertheit im Umgang mit Sex
das wirklich verhinderte, mußten sich dann die jelitischen
Huren nicht selber zu helfen wissen? Aber dieses Mädchen war ja
noch ein richtiges Kind…
    »Weißt du denn, was er hat? Hat er nichts gesagt?«
Konnte der Riese überhaupt sprechen? Sie hatte ihn noch nie
reden hören.
    SaSa gab keine Antwort. Der Riese schwankte plötzlich und
sank auf die Knie, er keuchte, es rasselte und brodelte in der
mächtigen Brust. Ayrid gab ihm Halt, bis er sich erneut
hochkämpfte, dann half sie ihm vorwärts.
    »SaSa. Hast du nichts für ihn? Keinen
Kräutersaft?«
    »Nein.«
    »Und er?«
    »Auch nicht«, sagte sie, und die kleine Stimme klang so
verzweifelt, daß Ayrid von Mitleid übermannt wurde. Embri
– wo Embri war, da gab es wenigstens Heiler – Embri wurde
beschützt – für Embri wurde gesorgt…
    Der Pfad war verwaist; sie waren allein unter den tröpfelnden
Bäumen. Alle waren in der Unterrichtshalle. Nicht alle, dachte Ayrid und verdrängte das Gesicht gleich wieder aus
ihrer Vorstellung. SaSa brauchte sie jetzt. SaSa hatte sonst
niemanden…
    Sie kamen nur langsam voran, mußten viele und lange Pausen
einlegen. Dann endlich gelangten sie ans Ziel. Die Halle des Barbaren
lag in einem Teil von R’Frow, in den Ayrid noch nie einen
Fuß gesetzt hatte, nahe der Ostmauer, genau westlich der
jelitischen Hallen. Ein graues Wroffgebäude, offene
Torbögen, Bodentische – hier sah es nicht anders aus als in
den delysischen Hallen.
    »Schaff ihn da hin«, sagte Ayrid, »weg vom Eingang.
Hier könnte es reinregnen.«
    »Nein. Nach oben.«
    »Aber, SaSa, wie sollen wir ihn denn die Leiter hochkriegen?
In dem Zustand kann er doch nicht klettern. Wir holen einfach Kissen
und Decken runter.«
    »Nach oben«, sagte sie heiser vor Verzweiflung.
Ayrid sah ein, daß es zwecklos war, ihr zureden zu wollen.
    Mitten auf der Leiter wäre der Barbar fast abgestürzt.
SaSa schrie auf und wollte von oben her seine Arme packen – als
ob zwei zarte Ranken einen Felsbrocken aufzuhalten versuchten. Ayrid
hievte sich auf die Sprosse direkt unterhalb des Riesen, packte um
seine Hüfte herum nach dem grauen Metall und klammerte sich
fest. Ein Beben durchlief den Riesen, sein Gewicht drohte ihr die
Hände von

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