Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
umklammerte die Hand des Riesen. Der Ged trennte die beiden,
nicht unsanft, aber bestimmt. Plötzlich fuhr SaSa wie ein
lautloser Wirbelwind auf den Ged los und hämmerte mit ihren
kleinen Fäusten und dem Mut der Verzweiflung gegen die
unsichtbare Wroffhülle, in der sich die Geds verschanzten. Es
lag etwas Erschreckendes, Unnatürliches in diesem stummen
Angriff. Ayrid wollte sie zurückreißen, aber noch ehe sie
bei SaSa war, hatte Grax sein graues Kästchen befingert, und die
drei Menschen befanden sich nicht mehr innerhalb der Stadtmauer.
    Es war aus dem Boden geschossen, zwischen ihnen und Grax, zwischen
ihnen und dem schwerkranken Albino und hinter ihnen, auf drei Seiten,
bis an die Decke. Dahar, Ayrid und SaSa standen in einem Käfig
aus Wroff, einer kubischen Nische in der Grauen Mauer, offen
zur vierten Seite, wo der graue Tag von R’Frow
verblaßte.
    So unheimlich schnell…
    SaSa stieß einen Schluchzer der Verzweiflung aus und rannte
aus der Nische. Ayrid wollte sie festhalten, war aber nicht rasch
genug. SaSa lief den Weg zurück, den sie gekommen waren. Dahar
packte Ayrids Arm. »Laß sie laufen.«
    Ayrid drehte sich um. Sie mußte zu ihm aufblicken. »In
diesem Zustand? Allein und halb verrückt? Weil sie bloß
eine von euren Huren ist?«
    »Nein, nicht deshalb.«
    »Sie quält sich!«
    »Was hast du damit zu tun, Delysierin?«
    »Ich heiße Ayrid.«
    »Ich weiß«, sagte Dahar. Ihre Blicke trafen sich
und hielten einander fest.
    Die Hand auf ihrem Arm glühte. Als sie schwieg, wiederholte
Dahar mit sonderbarer Eindringlichkeit: »Hast du etwas
mit ihrem Leid zu tun?«
    »Ja!«
    »Wieso? Sie ist doch Jelitin.«
    Diesmal bemerkte sie, daß er mehr wissen wollte, als er
fragte – aber sie wußte nicht, was. Seine dunklen Augen
waren umschattet, schienen tiefer in den Höhlen zu liegen als
sonst. Irgend etwas war geschehen, seit Dahar und Jehannas Freundin,
diese rothaarige Kriegerin, nicht zum Unterricht erschienen waren.
Irgend etwas war passiert… Seine Verschlossenheit machte sie
nervös. Sie war verwirrt und gab keine Antwort. Seine Hand
schloß sich fester um ihren Arm.
    »Ayrid, wieso befaßt sich eine delysische
Glasbläserin mit einer jelitischen Hure? Gibt es einen Grund? Wieso?«
    So hatte sie ihn noch nie erlebt. In all den langen Stunden, die
sie sich zusammen über das Material und die Geräte der Geds
gebeugt hatten – Sachen, die außer ihnen niemand
ernstzunehmen schien –, in all den Stunden hatten sie kein Wort
miteinander gewechselt. Sie hatten sich nur geäußert, wenn
Grax es von ihnen erwartet hatte. Wenn einer von ihnen eine Frage
gestellt hatte, dann hatte er immer Grax gefragt. Wenn einer von
ihnen eine Idee geäußert hatte, dann hatte er sich immer
an Grax gewandt. Dennoch hatte sie immer geahnt, welche Frage ihn
bewegte oder welches Experiment ihm durch den Kopf ging. Jetzt
plötzlich, wie ein Blitz aus dem falschen Himmel von
R’Frow, kam ihr die Erkenntnis, daß es in dieser ganzen
Stadt niemanden gab, den sie so gut kannte wie Dahar. Eine
merkwürdige Art, sich kennenzulernen – als ob man ein
Trinkglas im Dunkeln herstellte, jeden einzelnen Schritt blind
ausführte, ohne jemals zu sehen, wie es im Sonnenlicht
glitzerte.
    Aber so kannte sie ihn nicht. So verstört, so
verzweifelt.
    »Dahar«, sagte sie nachdenklich, »was war los heute
morgen? Was hast du getan?«
    Sie erschrak bei dem Ruck, der in ihren Arm fuhr. Dahar ließ
sie los. Für einen kurzen Augenblick sah es so aus, als ob sein
Gesicht in tausend Scherben gehen wollte. Dann kehrte er ihr den
Rücken zu und ging mit großen, steifen Schritten
davon.
    Ayrid wollte ihm hinterherlaufen, aber dann übermannte sie
plötzlich die Angst, die sie eigentlich die ganze Zeit über
hätte haben müssen. Ein jelitischer
Krieger…
    Es war Dahar, der kehrtmachte und zurückkam. Er hatte sich
wieder in der Gewalt. Was er sagte, kam ihm rasch und rauh über
die Lippen: »Es gibt einen Sud, der sie beruhigen wird oder ihr
wenigstens den Verstand vernebelt, bis das Schlimmste vorüber
ist. Von mir würde sie nichts nehmen, aber du kannst ihn
für sie ansetzen. Vierzehn Ballonkrautblätter, das Kraut
wächst dicht an den Baumstämmen, im Schatten –
weißt du, welches ich meine? Es wächst auch in Delysia. Du
kochst die Blätter tüchtig aus und gießt immer nur
soviel Wasser nach, daß sie gerade bedeckt sind, solange bis du
einen sämigen Brei hast. Dann verkochst du eine Handvoll
Spießbeeren zu einem Sirup und

Weitere Kostenlose Bücher