Fremdkörper
ganz unhibbelig kriege ich das aber nicht hin. »Ich muss mich zurückmelden. Das bin ich diesen Leuten schuldig.« Das Pflichtgefühl läuft Patrouille in meinem Vorderkopf. Es braucht ein paar Tage bis zur Erkenntnis, dass mir hoffentlich die meisten zurzeit verzeihen, dass ich nicht ganz so zuverlässig bin wie sonst.
Abends im Bett nehmen mich die schönsten Anrufe und Nachrichten des Tages mit in den Schlaf. Denn davon gab es ja auch einige. »Ihr habt schon so vieles gemeinsam geschafft. Ihr schafft auch das.« – »Ich habe im Dom eine Kerze angezündet für dich.« – »Ich hab dich lieb.« – »Wir haben positive Energie gesammelt und hier von München aus auf die Reise zu euch geschickt. Spätestens morgen müsste etwas da sein. Wenn nicht, reklamiere ich noch mal.« – »Ich bin für euch da.« – »Na, Power Puff Girl. Dann zeig dem Krebs mal, was bockig ist.« – »Du bist in meinem Gebet.« Pieps.
7.
Kein Sklave der Enklave mehr
Ein paar Tage später hat mein Verstecken-vor-allen-Spiel ein Ende. Ich muss wieder raus. Aus meinem Bett. Aus dem Haus. Raus in die Welt. Also, in die öffentliche. Schon vor Wochen, lange bevor ich wusste, dass mein Leben einen von mir nicht geplanten Umweg nehmen würde, hatte ich zugesagt, Gast in einer Sendung von einem Kollegen zu sein. Ein lustiger Mann, der lustige Shows moderiert. Ich mag solche Auftritte von Zeit zu Zeit ganz gerne. Die Gründe sind zu banal und fürwahr zu eindimensional, um einer intellektuelleren Prüfung standzuhalten. Aber müssen sie ja auch nicht, denn: ich treffe bei diesen Gelegenheiten mir angenehme, manchmal gar befreundete Kollegen. (Ich frage nämlich immer, wer sonst noch so kommt. Im Zweifel sage ich ab.) Dann reden wir mal kluges, häufiger dummes Zeug vor und vor allem während der Sendung. Im Optimalfall amüsiere ich mich und das Publikum zweieinhalb bis vier Stunden, je nach Länge der Aufzeichnung. Und bei der After-Show-Party gefalle ich mir wohl in der Rolle der schick von der Stylistin eingekleideten Tussi de luxe, mit einem Gläschen Schampus in der Hand (oder zwei oder drei, zahlt ja die Produktionsfirma). Heute bin ich nicht so lässig wie sonst. Es ist mir ein bisschen merkwürdig zumute. »Meinst du, irgendjemand sagt irgendwas?« Mächtig schlaue Frage, mit der ich Thom da konfrontiere. Er kennt sein Weib mittlerweile gut genug, um zu wissen, welche Angst da gerade in mir hochkriecht: »Ich glaube nicht. Wer sollte da was sagen? Herzliches Beileid wohl kaum.« Stimmt. Nein. Tot bin ich noch nicht. Und auch nicht auf dem Weg dorthin.
Stattdessen befinde ich mich auf dem Weg nach Berlin-Adlershof, wo gleich Showtime angesagt ist. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich reagieren soll, wenn mich jemand auf das Thema anspricht. Auf mein Thema. Denn Details erzählen möchte ich nicht. Aber über Anteilnahme, das habe ich auch bei den »schönen« sms gemerkt, freue ich mich. Mitgefühl tut gut. Mitleid überhaupt nicht. Im Zweifel halte ich es mit der thailändischen Art, heiklen Situationen zu begegnen: sie weglächeln. Vielleicht hätte ich diesen Termin doch absagen sollen? Auch wenn es sehr kurzfristig war. Andererseits sehe ich es ganz und gar nicht ein, mich fortan noch mehr zu verschanzen und zu vermummen, als ich das ohnehin schon tu. Was für ein Mummenschanz wäre das? Mich gibt’s noch. Und das sollen sie sehen. Wenn diese Zeitung schreibt, wie krank ich bin, dann werde ich ja wohl allen zeigen dürfen, wie gesund ich mich fühle. Und auch aussehe, nebenbei bemerkt. Auf dem Studiogelände, in meiner Garderobe und dem Raum, wo die Gäste geschminkt werden, ist alles wie immer. Mitarbeiter grüßen freundlich, winken über den Hof oder nicken mir zu. Ich merke an kleinen Gesten, dass die Sache nicht an allen spurlos vorübergezogen ist. Manch ein Händedruck und manche Umarmung dauern den einen spürbaren Augenblick länger als üblich. Die obligate Begrüßungsfloskel: »Na, alles gut bei dir?« (in der Medienbranche sehr beliebt, inflationär gebraucht, auch von mir. Aber an und für sich eine Unverschämtheit, weil sie immer impliziert, dass alles super-duper-fein ist. Ist es aber nicht immer. Deswegen: Frechheit), wird ersetzt durch ein ernst gemeintes: »Wie geht es dir denn?« Meine Antwort ist zugegeben ziemlich plakativ und abgedroschen, aber immerhin ehrlich: »Den Umständen entsprechend gut. Eigentlich sehr gut. Tut ja nix weh.« Das alles mündet in der Begegnung mit dem Moderator. Ich werde
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