Fremdkörper
Zuversicht und Mut packen. Mit 160 Zeichen kann man ein Zeichen setzen. Ich bin nicht allein.
Nur einige wenige schießen mit angemahnten Wissenslücken und der Bitte, selbige doch dringend zu schließen, übers Ziel hinaus. Interessanterweise fallen viele dieser wenigen in die Schublade derer, von denen ich ansonsten nur genau zweimal im Jahr höre oder lese. Zu Weihnachten und zu Ostern. Jeweils eine schmerzhaft unoriginelle Massen-sms. Gieriges, neu-gieriges Pack. Während ich mich schon über den Berg wähne und das Feedback für erträglich erachte, signalisiert mir eine letzte verbliebene Mitteilung das Unvermeidliche: Na-tür-lich hat auch die Mailbox einiges aufgezeichnet. Vorweg, ich habe aus der Sache etwas gelernt. Fürs wie auch immer geartete, nun folgende Leben selbstverständlich: Die feinfühligen, vorsichtigen Bekannten schreiben eine sms. Die Unverschämten rufen an. Und zwar mehrmals. Seltene Ausnahmen bestätigen diese Regel. »Sie haben 27 neue Nachrichten.« Ich lasse mich mit der Schwere von zwei nassen Säcken auf unseren Küchenstuhl plumpsen und seufze. Na, dann mal los. »Empfangen – vorgestern – um ...«
»Hallo Miri. Sag mal, stimmt das, was in der Zeitung steht? Das wäre ja furchtbar. Aber die schreiben ja so oft Mist. Ich hoffe, da ist nix dran. Melde dich mal.« Nein, erst mal nicht. Nicht böse sein. Pieps. »Ich habs gelesen. Ich muss sagen, ich bin ziemlich geschockt. Ich hoffe, es geht dir und euch einigermaßen. Wünsche euch Kraft.« Vielen Dank. Nehme ich gerne an. Pieps. »Hey, grauenhaft. Alles. Einfach grauenhaft. Melde dich, falls du was brauchst. Wenn nicht, ist auch o. k.« O. k. Dann noch nicht. Pieps. »Hallo. Hab vorhin schon mal angerufen, warum meldest du dich nicht?« Oh Mann. Weil ich das noch nicht kann. Pieps. »Schlimm das Ganze. Aber musstest du das unbedingt dieser Zeitung verkaufen?« Bitte was? Glaubst du das wirklich? Nicht dein Ernst. Pieps. »Hallo, ich weiß, wir hatten seit ein paar Jahren keinen Kontakt mehr. Du hast ja ganz schön Karriere gemacht. Naja, egal. Ich wollte mal hören, wie es dir so geht?« Schlecht zur Zeit. Danke der Nachfrage. Aber lustig, dass du dich ausgerechnet jetzt meldest. Pieps. »Ich glaub das ja alles nicht. Die schreiben so viel Müll. Die Medien sind sowieso der letzte Dreck. Ruf mal zurück.« Um was zu tun? Oder bist du von der Müllabfuhr? Pieps. »Hey ... was für’n Wahnsinn. Titelseite. Dass dir das noch mal passiert. Irre. Ich würde sagen, du hast es geschafft.« Ja, ich habs geschafft – deine Nummer zu löschen. Und zwar gleich. Pieps. »Hi, ich bin’s. Ist das noch dein Anschluss? Jaja, ich weiß, wir haben lange nix mehr voneinander gehört. Aber jetzt, dachte ich, ich melde mich mal. Es geht dir ja nicht so gut. Kannst dich immer bei mir melden, wenn dir danach ist ...« Schön. Das letzte Mal habe ich das um mein Abi rum gemacht. Mal schauen, ob wieder ein Jahrzehnt vergeht. Insofern ... »Ach ja, und wenn du für meine Tochter ein Autogramm schreiben könntest, das wäre toll. Muss ja nicht sofort sein.« Gerne. Kein. Problem. Puh. Pieps. »Ruf mal zurück.« Nein. Pieps. »Ich noch mal. Wieso rufst du nicht zurück?« Weil – ich – nicht – möchte. Manno. »Wie kannst du nur mit so etwas PR machen wollen? Find ich nicht gut. Sorry.« Sorry, aber das kann doch nicht sein, dass das die Leute denken. Mein Herz rast. Pieps. »Hey. Hab gehört, du hast Brustkrebs. Wie geht’s denn jetzt weiter bei dir? Musst du die Brust abgenommen bekommen? Bei meiner Tante war das so. Die ist mittlerweile leider tot. Aber: Muss ja nicht so sein. Berichte mal, sobald klar ist, was gemacht werden muss.« Wie wäre es damit: Ich halte direkt eine Live-Pressekonferenz bei Phoenix ab, wenn es so weit ist. Viersprachig inklusive Gebärdendolmetscher für Hörgeschädigte. Pieps. »Alles halb so schlimm. Früh erkannt stand in der Zeitung. Kopf hoch.« Von wem hat der eigentlich meine Nummer? Pieps. »Ja, hallo Miriam Pielhau. Sie kennen mich nicht. Mein Name ist Hannes Stock aus der Redaktion des Berliners. Ich wollte nur sagen, wenn Sie sich bei uns äußern möchten – vielleicht mit einer exklusiven Gegendarstellung – melden Sie sich gerne.« Schwein. Würg. Pieps.
Es dauert fast eine Stunde, bis ich mich durch die Anrufnachrichten durchgehört habe. Mein linkes Ohr glüht. Gesund kann das nicht gewesen sein, diese Handystrahlung. So dicht am Kopf, so lange. Soll ja angeblich krebserregend sein. Aber –
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