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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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nichts gerechtfertigt. Doch die Botschaft kommt an. Wieder bin ich gerührt. Gestatte mir aber keinen emotionalen Ausfall mehr und gehe mit größtmöglicher Professionalität zur Tages-, also Abendordnung über. Die Sendung läuft gut durch. Ich habe keine verdächtigen Aussetzer, das angedachte Konzept geht auf, die Quote am nächsten Morgen erfüllt selbst hohe Erwartungen. Alle sind froh. Und ich bin es auch. Ich beklopfe selbst meine Schulter und befinde: Ich kann es also noch. Selbst mit so einem Scheiß-Krebs in der Brust. Warum auch nicht? Als ich am frühen Dienstagmorgen im Flugzeug sitze, auf dem Weg zurück nach Berlin, nach Hause, bin ich dementsprechend gelöst. Ich blicke auf die Wolken von oben und denke bei mir: »Wenn du das das nächste Mal siehst, ist der Dreck raus aus deinem Körper.« In 48 Stunden werde ich operiert. Und das ist gut so. Denn es ist Zeit, dass sie das Böse in mir (es fällt mir immer noch schwer, den Krebs beim Namen zu nennen) wegmachen. Und: Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Von meiner Brust. Die hinterher ganz sicher nicht mehr so sein wird, wie sie 32 Jahre meines Lebens war.

9. 
Die Lieblingsbrust
    Der Morgen vor dem Tag der Operation fängt an wie so viele in letzter Zeit. Erstens: Ich bin als Erste noch vor der Sonne wach. Und unruhig. Also stehe ich lieber auf. Zweitens: Ich gehe nackig ins Bad und gucke mich mal bewusst, mal schläfrig abwesend im Spiegel an. Drittens: Ich rede mit mir selbst. »Warum bist du denn krank geworden, hm? Was hat dich denn so bekümmert? Warum ist das ein unlösbarer Kummerknoten geworden?« Spreche es aus und nehme ein bisschen vorwurfsvoll mein Corpus delicti, meine Sorgen-Brust in Augenschein. Ich erinnere mich immer wieder daran, wie ich vor vielen Wochen eine merkwürdige Veränderung beobachtet habe, die ich aber fälschlicherweise nicht als Warnsignal deutete, weil ich nicht wusste, dass es eines hätte sein müssen. Wenn ich meine Arme hob, so zeigte meine eine Brust eine zentimeterlange, deutliche Kerbe. Wie eine nach innen ziehende Naht. Einiges unterhalb der Brustwarze. Und das, obwohl – wie sich zeigen sollte – der kleine, gemeine Tumor in der oberen Hälfte der Brust saß. Da diese Auffälligkeit wieder verschwand, habe ich dem Ganzen keine weitere und erst recht keine schwerwiegende Bedeutung beigemessen. Alle medizinischen Alarmglocken hätten wohl zu diesem Zeitpunkt schräg und laut geschrillt. Aber ich bin nun mal keine Ärztin und ohnehin nicht gerne Patient. Insofern wundert es wenig, dass ich das potenzielle Problem flugs weggeleugnet habe. Das geht jetzt nicht mehr. Verärgert blicke ich mir selbst auf den Busen. »Was soll das Spektakel? Wieso machst du dich jetzt so wichtig?« Diese gemischten Gefühle zwischen Sorge, Anklage und Ratlosigkeit sind mir nicht neu. Das Emotionstrio gehört zu meinem Leben und zu meiner Seele. Daher hilft die Erfahrung im Umgang damit, also sie laut zu artikulieren. Das Verlautbaren nimmt Last. Gib dem Unaussprechlichen einen Namen und es verliert an Schrecken – so in etwa.
    Ich sehe und fasse sie ein bisschen an, meine runde, weiche Brust. Und werde natürlich sentimental dabei. Auf dieses Gefühl habe ich dieser Tage situationsgemäß ein Abo. Schon als 14-Jährige, gerade ins BH-fähige Alter gekommen, mochte ich diese eine lieber als die andere. Es war meine schönere. In Form und Größe minimal anders als ihr Pendant. Kaum wahrnehmbare Unterschiede. Aber anders und eben besser. Zunächst dachte ich, wie vermutlich 90 Prozent aller Mädchen zwischen 12 und 15, die mittendrin stecken in den selbst entdeckten Unsicherheiten, die das pubertäre Zeitalter für einen parat hält, das sei eine Fehlkonstruktion. Aber im Gespräch mit meinen Mädels hat sich schnell das ergeben, was biologische Gesetzmäßigkeit ist. Nämlich die Tatsache, dass die Brüste äußerst selten 100-prozentig gleich aussehen und es fast immer eine schönere gibt. Bei jeder Frau. Es sei denn, der Busen wurde nachbearbeitet und ist aus 100 Prozent Plastik. Von meiner Lieblingsbrust in äußerlich unbeschädigtem Zustand muss ich mich heute verabschieden. Wie blööööd. Ich starre mir selbst minutenlang dahin, wofür ich jedem Kerl verbal ordentlich einen einschenken würde. Außerdem frage ich mich kurz, ob ich saudämlich war, die wiederholten Playboy-Angebote auszuschlagen, mich gegen sehr viel Geld sehr nackt fotografieren zu lassen. Denn die werden mir in Zukunft sicher keinen Blumenstrauß mehr

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