Fremdkörper
gerade angemalt. Gepudert und getupft und geschminkt und liege den Umständen entsprechend entspannt in meinem Stuhl. Er nähert sich sachte von hinten, was ich durch den Spiegel natürlich bestens verfolgen kann, legt seine Hände auf meine Schultern und drückt sie. Einmal von oben, einmal von der Seite, streichelt kurz. Das wars. Eine kleine Geste der Nähe – und kein Wort. Hat gereicht. Bin dankbar über die Zurückhaltung. Seine. Und die von allen anderen. Denn in diesem Moment merke ich, dass die Augen – mal wieder, ich mutiere zur Heulsuse – wässrig werden. Würde ich jetzt noch über mein Thema reden müssen, dann wäre die Fassung ganz dahin. Ich konzentriere mich auf die Ereignisse, über die wir gleich in der Sendung plaudern werden, gehe in Gedanken schon einmal die Showtreppe hinunter und stelle mir die Reaktion der Menschen auf mich vor. Dabei kommt mir zum ersten Mal eine Frage in den Sinn, die ich mir vor lauter Kreiseln ums eigene Ego in dem ganzen Dilemma, vor lauter Schwindelgefühl durch das Drehen um die eigene Achse bisher nicht gestellt habe – obwohl sie quasi ständig »Hier!« schreit: Wie würde ich mich verhalten, wenn ich nicht Betroffene, sondern Kollegin, Freundin, Angehörige eines Krebskranken wäre? Wie käme ich mit der eigenen Hilflosigkeit zurecht? Wie würde ich versuchen, den Spagat zwischen Hilfsbereitschaft und Nicht-bedrängen-Wollen hinzukriegen? Würde ich die richtigen Worte finden? Und die richtige Anzahl? Nicht zu viel, und auch nicht zu wenig. Ich lasse alle Händedrücker, Komm- ich-will-dich-mal-umarmen-Menschen und mitfühlenden Blicke des Tages noch einmal an mir vorbeiziehen – und kann lächeln. Nicht das schwer zu deutende, weil immer gleiche Thailand-Lächeln. Sondern ein wirklich glückliches. Gratulation, alles richtig gemacht, ihr alle. So. Und jetzt Konzentration auf gute Unterhaltung.
Ein paar tiefe Atemzüge in den Bauch später hat sich die Ruhe ganz und gar meiner bemächtigt. Ich verwickele die Maskenbildnerin in ein banales Gespräch über ein Klatsch- (Britney, hohle Nuss – armes Mädchen, Spears) und dann ein Frauenthema (Depilation, Schmerz, ja). Ich bin ganz gut im Small-Talk. Außerdem quatsche ich mich damit auf Temperatur und lasse den Spontaneitätsmotor warmlaufen. Das ist seit Jahren ein Ritual in der Maske. Eine Visagistin, die mit mir arbeitet, ist nämlich nicht nur zuständig und verantwortlich für Make-, sondern tatsächlich auch mein persönliches Warm-up. Auch, wenn sie das in der Regel nicht weiß. Aber meistens, so auch heute, funktioniert das bestens. Die Show beginnt. Die Leute sind gut drauf, die Couch sehr bequem, wir sind das Volk und das Volk hat Spaß. Apropos Spaß. Eine merkwürdige Feststellung mache ich während der Aufzeichnung. Oder aber meine Antennen sind aufgrund meines etwas angekrampften Innenlebens heute hypersensibel. Ich bemerke: Ohne ein Fips-Asmussen-Gedächtnis-Witze-Feuerwerk abfackeln zu wollen, nicht jeder meiner Späße zündet so, wie ich es kenne. Lacher ja. Aber stellenweise sehr – hüstel – verhalten. So, als dürfte man ja gar nicht so, wie man eigentlich wollte ... Ich bilde mir ein, dass das ebenfalls mit Unsicherheit zu tun haben muss. Ob man nun über einen Witz aus dem Mund einer so kranken Frau lachen darf oder nicht. Ich finde: ja. Natürlich. Niemand muss päpstlicher sein als der Papst, also in meinem Fall betroffener, kränker als die Betroffene, Kranke. Mehr noch: Nicht nur weglächeln ist ein guter Mechanismus, weglachen funktioniert fast noch besser. Denn lange nach der Sendung später in den heimischen Federn wird mir klar: Zum ersten Mal seit über einer Woche habe ich drei Stunden lang nicht an mich (und uns) gedacht, über mich (und uns) nachgedacht oder um mich (und uns) Sorgen gemacht. Und noch ein Kapitel kann ich schreiben in meinem Tagebuch für den Umgang mit der Katastrophe: auch für so ein fundamentales beziehungsweise Fundament erschütterndes Ereignis wie Krebs ist die richtige Ablenkung zur richtigen Zeit eine super Sache, um sensationell gut drauf zu kommen.
8.
Top-Job
Montags ist Rock ’n’ Roll angesagt. Im Sinne von: Da geht die Post ab, Stress-o-meter, da hab ich viel zu tun, yeehah. Ich habe seit ein paar Monaten eine neue Sendung, die montagsabends live aus Köln gesendet wird. Die Show macht nicht nur Spaß, sondern mich auch sehr glücklich. Das Team ist ein ganz besonders tolles, die Chefs mögen meine etwas unorthodoxe Art zu moderieren
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