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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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sofort zu mir gehören. Ich hole tief Luft. Wird schon. Es sind nur Äußerlichkeiten, du eitles Pferd. Also, mach nicht so einen Zirkus.
    Kurz darauf sitzen wir wirklich bei meiner Ärztin. Sie befreit mich behutsam vom Verband und begutachtet als Erstes selbst, was sie da fabriziert hat. »Sie haben gute Heilhaut. Das hat sich sehr schön entwickelt«, stellt sie beruhigend und ziemlich bescheiden fest. Denn gute Heilhaut alleine macht noch keine schicke Naht. Ich nehme die 2.0-Version meines Busens unter die Lupe. Und: bin ziemlich überrascht von dem, was ich da sehe. Ein Schnitt hat offenbar gereicht. Meine eine Narbe ist nur wenige Zentimeter lang, bindfadendünn und bereits verhältnismäßig eben. Wenn man bedenkt, dass die Wunde erst zwei Wochen alt ist. Erleichtert und zufrieden blicke ich abwechselnd auf die Naht und sehr dankbar zu Dr. Lauckmann. »Boah, das haben Sie wahnsinnig sensationell hinbekommen. Ich bin beeindruckt.« – »Wenn das weiter so gut heilt, dann wird die Narbe in einer paar Monaten noch feiner sein.« – »Danke für diese guten Nachrichten. Ist ja jetzt schon ein absolut vertretbarer Zustand.« Die zarte Linie, die mich auch in Jahrzehnten noch an das erinnern wird, was wir gerade erleben, ist, ehrlich gesagt, ziemlich unspektakulär. Retuschier- und eher unscheinbar. Hosianna. Ich bin froh.
    Wenn auch nur kurz. Die Frage, die mich zurück ins manchmal so unbarmherzige Leben holt, lautet: »Was machen eigentlich Ihre Lymphknoten am Hals? Die Blutuntersuchung hat gezeigt, dass Sie keine dieser Viren mehr mit sich rumschleppen. Jetzt endlich müsste sich da mal etwas tun.« Ich muss zugeben, dass ich durch das ständige am Hals rumfummeln kein verlässliches Gespür mehr dafür habe, ob sich die unter Beobachtung stehenden Kameraden in irgendeiner Form verändert haben. Dr. Lauckmann überprüft selbst sanft tastend den Status quo – und ist sichtlich erleichtert, als sie feststellt: »Ach, die sind ja deutlich abgeschwollen. In ein paar Wochen ist davon hoffentlich nichts mehr zu merken.« In meiner Hand, in der die meines Mannes liegt, zuckt es. Wir freuen uns und drücken die Freude durch ein paar Drücker aus. Das Herz macht kleine Luftsprünge, während sich eine omnipräsente Restangst plötzlich in Wohlgefallen auflösen kann.
    Viel Zeit zum Springen ist dem Herzen heute aber nicht gegönnt. Denn Dr. Lauckmann setzt nach einer kleinen Pause und etwas angestrengter Miene an: »So, und was jetzt kommt, ist nicht so ganz einfach.« Herz macht Luftsprungpause. »Das Ergebnis der entfernten Lymphknoten ist da.« Herz hält den Atem an. Im Internet, das es in meinem Leben offiziell zurzeit gar nicht mehr gibt, habe ich Kategorisierungen gefunden. Da gibt es die Unterteilung kein Befall, 1, 2 bis 4, 5 bis 8, mehr als 9. Je mehr, umso schlechter. Klar. Und bei mir? »Es waren zehn befallen.« Herz rutscht in die Hose. Scheiße. Das ist viel. Herzlichen Glückwunsch, die Kandidatin hat die Höchstpunktzahl erreicht. »Aber Sie haben alle kranken Lymphknoten entfernt?« – »Ja, die anderen nach Nummer 10 waren alle in Ordnung.« – »Und was heißt das jetzt?« – »Laut Statistik verschlechtert das theoretisch die Aussichten. Aber ich sage Ihnen: Das heißt nichts. Nichts. Denn, und das müssen Sie sich ganz oft sagen, es ist letztlich nur eine Zahl. Tun Sie sich einen Gefallen und lesen Sie nicht, was Sie darüber im Internet finden.« Jahaaa, ich weiß, Internetverbot. »Wie das Ihre Prognose verändert und solche Sachen. Wir werden Sie durch eine wirklich harte Therapie schicken, die Sie aber schaffen werden und die Ihre Perspektive ganz, ganz toll positiv beeinflusst. Und das sage ich nicht, um es Ihnen leichter zu machen. Das ist eine Tatsache.« Ich blicke wohl ziemlich ungläubig und etwas eingeschüchtert drein, denn sie fährt fort: »Außerdem haben Sie, Sie alleine und Sie beide, bisher alles bravourös gemeistert. Sie gehen so optimistisch an diese schwere und oft genug deprimierende Aufgabe heran. Diese positive Einstellung ist von ganz großer Wichtigkeit, glauben Sie mir. Machen Sie weiter so. Dann wird das alles schon.« Zunächst kommt mir nur ein müdes Lächeln über die Lippen, dann aber etwas in den Sinn, was ich früher schon gedacht und zu meinem Motto gemacht habe: »Wollen wir doch mal sehen, wer hier klein beigibt.« (Herz sitzt wieder am rechten Fleck.) Ich werde es nämlich bestimmt nicht sein.

16. 
(End)Station Sehnsucht
    Das Kinderwunschzentrum ist

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