Fremdkörper
postoperative Nachsorge. »Keine Sorge, das wird bald weniger. Am Anfang will ich Sie noch etwas häufiger sehen.« Mich stört es nicht. Ich habe ja schon so gut wie einen Dr.-Lauckmann-Fanclub gegründet, insofern finde ich viele meet & greets super. Heute hat sie allerdings noch ein anderes Anliegen: »Ich hatte Ihnen doch von der Patientin erzählt, die gerade ziemlich genau dasselbe durchmacht, wie Sie. Heute bekommt sie ihren nächsten Zyklus Chemotherapie. Wenn Sie wollen, können wir gleich in die Infusionsambulanz gehen. Da stelle ich sie Ihnen vor.«
Und wie ich will. Ich halte extrem viel von dieser Idee. Es kann niemals schaden, weitere Mitstreiter zu rekrutieren oder auch selbst einer für jemand anderes zu werden. Diese Krankheit allein ist so große Kacke. Das alleine durchzustehen ist noch größere Kacke. Das muss ja nicht sein. Außerdem habe ich die Chance, vor meinem ersten Zyklus, der ersten Infusionseinheit nächste Woche, ein paar Fragen an jemanden loszuwerden, der sie besser beantworten kann als jedes medizinische Lexikon: nämlich eine Betroffene.
Das Räumchen, in dem die Chemotherapie verabreicht wird, ist klein, aber mit sehr viel Liebe zum floralen Detail dekoriert. Ein Weidenstrauch mit Osterschmuck hängt von der Decke. Kitschige, aber in der Hinsicht konsequent überladene Blumengestecke auf der Fensterbank, in der Ecke ein Transistorradio, aus dem die besten Hits seit sicherlich Beginn der Zeitrechnung scheppern. An den Wänden links und rechts stehen jeweils drei sehr gemütlich aussehende, einladende hellgraue Liegesessel mit Kopfkissen und Wolldecke. Außerdem kann man mit einer Fernbedienung Fuß- und Rückenteil nach Belieben heben oder senken. Spitzensache. Eigentlich ideal für süße Träume, wenn das Zeug, das einem hier verabreicht wird, nicht der absolute Albtraum wäre.
Auf der linken Seite im Sessel in der Mitte sitzt eine junge Frau. Blaue Augen, Stupsnase und ein Lächeln, das beweist, dass sich regelmäßige Zahnarztbesuche eben doch lohnen: Bianca. Sie ist alleine. Sonst ist keiner mehr da. Der sehr blonde, sehr akkurat frisierte Pagenkopf, eine prima Judy-Winter-Gedächtnis-Frisur. Ich vermute, dass das ihre Perücke sein muss und schon nicht mehr ihr echtes Haar. Holla. Das geht schnell. Wieder muss ich schlucken. Viel Zeit für Selbstmitleid bleibt nicht. In wenigen Tagen sitze ich zum ersten Mal auf so einem Stuhl. Und dann läuft mir diese Flüssigkeit in den Körper. Bianca bekommt die Infusionen über einen Port. Einen unter die Haut verpflanzten Venenzugang unterhalb des Schlüsselbeins. Die runde, 5-Mark-Stück-große Beule sieht aus wie ein versteckter Betriebsschalter. Abends drauf drücken, den als Mensch getarnten Roboter in die Besenkammer stellen und morgens wieder per Knopfdruck aktivieren. Allerdings bekommen Maschinen keinen Krebs, ich dafür aber auch bald so ein Gerät. Erfahre ich gerade. Ist ratsam, so haben es mir meine Ärztin und auch Bianca erklärt, weil die chemotherapeutischen Mittel, die Zytostatika, auf Dauer die Venen am Arm regelrecht zerfetzen können. Erst recht bei meiner, und auch Biancas, Superwoman-Dosis. Das führe dann zu rillenartigen Gefäß-Vernarbungen an der unteren Innenarmseite. Aha. Das möchte keiner. Inklusive mir. Also, lasst mich raten, wieder eine OP? Runzel-Seufz-Leide-Gesicht. Wieder eine OP. Seufz-Gesicht. Immerhin dauert der Eingriff nur 30 Minuten und das Ganze kann ambulant abgewickelt werden. Ein Telefonat später hat mir Dr. Lauckmann einen Termin für die Port-Operation besorgt: übermorgen nachmittag. Hossa. Schon wieder so fix. Aber: Hilft ja nix.
Bianca dagegen hilft sehr. Ich bombardiere sie mit meinen Fragen: »Wie verträgst du die Chemo?« – »Ganz gut. Hin und wieder etwas übel. Aber nicht am Chemo-Tag selbst. Später erst. Übergeben musste ich mich bisher noch nicht.« – »Was hast du für Nebenwirkungen?« – »Generell geht es. Kleinigkeiten. Aber ich bin schon deutlich erschöpfter als sonst.« – »Gehst du arbeiten?« – »Nein.« – »Machst du Sport?« – »Im Moment nicht so viel.« – »Wann sind deine Haare ausgefallen?« – »Das ging zwei Wochen nach der ersten Infusion los.« – »Achtest du bei der Ernährung auf irgendetwas besonderes?« – »Nö. Ich habe mir nach meiner Chemo vor zwei Wochen sogar Backofen-Pommes gemacht. Und sie auch nicht wieder zurückgegeben.« Grinsen. Mein Kopf glüht und mein Herz pocht zügig. Es ist, als hätte ich mein inneres
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