Fremdkörper
eine sehr freundliche Station. Pastelltöne bestimmen das Ambiente. Überall hängen Fotos von mopsigen, drolligen Babies. Mal schläfrig, mal sich so kaputtlachend, wie das nur Säuglinge können. Und auch ein großes Gruppenbild der Frauen und Männer, die dem lahmenden Storch auf die Sprünge helfen, prangt an der Wand. Dr. Marianne Weißberck und ihr Team. Die Kindermacher der Reproduktionsmedizin. In dieser Abteilung landen Paare, selten die ganz jungen, die sich sehnlichst ein Baby wünschen, bei denen es auf natürlichem Weg aber nicht geklappt hat. Dementsprechend unglücklich und sorgenvoll sehen alle aus, die an diesem Morgen einen Termin haben. Alle Hoffnungen ruhen auf Dr. Weißberck. Die kann bei ungewollter Kinderlosigkeit helfen. Heute bin ich auch eine der Kundinnen. Wenngleich aus einem anderen Grund. Nicht mehr lang, dann geht meine Chemotherapie los. Die macht bekanntermaßen mögliche, übrig gebliebene Tumorzellen ein für alle Mal kaputt, aber eben auch gesundes Biomaterial. Daher der Haarausfall und so. Aber: Sagte ich schon, dass der menschliche Körper echt eine Wucht ist? Denn nach der Therapie passiert etwas, was nur die guten, gesunden und nicht die bösen, entarteten Zellen können: Sie erneuern und erholen sich. Zu 100 Prozent. Bis auf die Eierstöcke. Die kann es theoretisch so stark erwischen, dass sie ihre Arbeit nur in Altersteilzeit aufnehmen oder dass sie gar frühzeitig in Rente gehen. Die Chancen stehen sehr gut, dass mein System nach der Chemotherapie genauso funktioniert wie vorher. Aber für den wenngleich unwahrscheinlichen Fall, dass ich meine DNS-tragenden Fortpflanzungszellen nicht mehr aus dem Dornröschenschlaf wachgerüttelt bekomme, will ich vorsorgen. Das heißt konkret: In den nächsten Tagen bekomme ich eine Hormontherapie, die meine Eizellen wachsen lässt. Und zwar ganz viele auf einmal. Die werden, kurz bevor es mit den Infusionen losgeht, entnommen. Ja. Unter Vollnarkose. Ächz. Und dann eingefroren. Eizellen auf Eis. Meine girls on the rocks für alle Fälle. Dr. Weißberck mit ihrem langen, blonden Pferdeschwanz, einem sehr milden Lächeln und ganz feingliedrigen Fingern, die während des Gesprächs bewegungslos ineinander ruhen, bereitet mich auf die kommenden zwei Wochen vor.
Die Extraportionen Östrogen, die ich erhalte, kommen mit all dem daher, was geballte Weiblichkeit ausmacht. Nämlich mit Lust und Laune. Von beidem viel. Und gerne wechselhaft. Ich weiß nicht, ob ich Thom dafür bedauern oder dazu beglückwünschen soll. Nehme es in jedem Fall mit einem breiten Grinsen. Ich habe ja auch gut lachen. Für mich ist das hier nicht die End-, sondern maximal eine Zwischenstation. Und Sehnsucht nach eigenem Nachwuchs ist noch nicht da. In meinem Lebensplan irgendwo in der mittelfristigen Zukunft. Und nur gezwungenermaßen jetzt auch ein Thema. Wenigstens ein paar Tage lang. Dr. Weißberck beschreibt unseren Plan, auch wie wir meine Brutstätte während der Chemotherapie vor Schaden schützen, und sie weiht mich in die Geheimnisse der Eizellen-Zucht ein. Ich komme mir vor wie ein Huhn. Entsprechend viel wird gegackert. »Na, dann stürze ich mich mal in meine Wochen der Wollust. Hoffentlich begegnet mir auf dem Weg zum Auto kein halbwegs attraktiver Mann. Oder hat man sich so weit noch unter Kontrolle?«, raune ich der Assistentin zu. Gelächter. Hier muss ich jetzt regelmäßig hin. Wie gut, dass es wenigstens lustig sein darf. Als ich kichernd den Behandlungsraum verlasse und im Wartezimmer in die angespannten Gesichter der dort sitzenden Paare blicke, komme ich mir fast ein bisschen pietät- und rücksichtslos vor. Dennoch: Ich glaube zu wissen, dass vermutlich niemand mit mir würde tauschen wollen.
17.
Bianca
Diese Wochen in meiner Zeitrechnung a. C. – ante Chemo – bestehen aus 30 Prozent, also zweieinhalb Tagen Arbeit, 10 Prozent Ausruhen und stattlichen 60 Prozent Krankenhaus. Ein Graus. Allein, dass diese Institution so heißt, ist doch ziemlich entmutigend. Immerhin will ich gesund werden und nicht krank, wenn ich mich dorthin begebe. Mal sehen, ob die Umbenennung aller Krankenhäuser in Gesundheitszentrum oder gleich international Health Center noch in die Lebenszeit meiner Generation fällt. Jedenfalls muss ich zurzeit alle ein bis zwei Tage dorthin. Entweder zu irgendeiner aufwendigen, zeitraubenden und bestimmt sehr teuren Voruntersuchung für die Chemo. Oder: zu meiner Oberhenne, Dr. Weißberck, zur Ei-Kontrolle. Oder zu Dr. Lauckmann:
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