Fremdkörper
ist, was die Wunde nicht belastet oder beben lässt: Sitzfahrrad und Crosstrainer also. Ich bin kein großer Muckibuden-Freund. Noch nie gewesen. Weder zu meiner sportlichsten Zeit noch jetzt. Und eigentlich war meine Mitgliedschaft auch schon seit Monaten eingeschlafen. Was selbstverständlich nicht für den Dauerauftrag des Beitrags gilt. Trainiert habe ich selten. Und das ist schon übertrieben. Was ich vor mir selbst bis jetzt aber bestens als Teil meiner mir selbst erteilten Anti-Disziplin-Lektion verteidigen konnte. Das Vertragsverhältnis gammelt also der neu gewonnenen Lust an der Lässigkeit zur Freude gemütlich vor sich hin. Nun soll es sinnmachend wiederbelebt werden. Denn Sport, dazu hat meine Institution Dr. Lauckmann auch ein Broschüre verfasst, ist auf unterschiedlichen Ebenen eine Supermedizin. Der Psyche tut es gut zu spüren, dass man trotz und gerade wegen so einer morbiden Krankheit ganz schön lebendig und belastbar und leistungsfähig ist. Dem Körper tut es durch Studien nachgewiesen so gut, dass sportlich aktive (Ex-)Brustkrebspatientinnen eine deutlich bessere Prognose haben als Sofakartoffeln. Dabei gilt: Wie es euch gefällt. Spazieren gehen, Wandern, Schwimmen, Walking oder aber so, wie ich es für mich bald entdecken würde. Und noch etwas spricht dafür, dass ich schon in Woche 2 nach dem Krankenhaus die Schweißproduktion erhöhen will: Ich muss dringend dem vielen, monatlich zum Fenster rausgeschmissenen Geld hinterherfahren. Und sei es nur auf dem Sitzrad.
Im Tempel des Körperkults ist eigentlich alles wie immer. Soweit ich mich daran erinnere. Die Jünger der Bewegungsreligion folgen wahlweise dem Tempo des Laufbandes, dem Gewicht der Kraftmaschine oder einem der vielen Sektenführer in die Kursräume. Gepriesen sei, was Kalorien, respektive Fett, vernichtet und Muskeln aufbaut. In Sportlichkeit. Und Dehnbarkeit. Amen. Ich setze mich aufs Rad und trete kräftig in die Pedale. Das Ding muss was aushalten können. Ich habe schließlich lange in dieses Gerät investiert. Bevor ich mir ausgerechnet habe, ob ich mir allein durch meine treu und pflichtschuldig überwiesenen Mitgliedsbeiträge nicht schon längst selbst einen Ergometer hätte leisten können, verschaffe ich dem Gedanken eine Notbremsung. Stattdessen genieße ich jeden Tritt, freue mich über jeden bewältigten Kilometer, spüre mit Genuss, wie mir warm wird und mein Herz unter der Anstrengung arbeitet. Die Schweißtropfen laufen am Gesicht, am Bauch und am Rücken runter. Ich schnaufe ein bisschen und stampfe noch fester zu. 50 Minuten lang geht mein eigenes kleines Straßenrennen. Ich komme zwar keinen echten Zentimeter vorwärts, schneide im direkten Vergleich mit meinen Mitradlern links und rechts eher schlecht ab, aber die Schnecke fühlt sich trotzdem wie eine Siegerin. Keinen überholt, aber Angst und Frustration sind auf der Strecke geblieben. Ausgeschwitzt und liegen gelassen.
Ein angenehmes Gefühl ist das, als ich zum Auswringen nass Richtung Umkleide wanke. Die Beine wabbelig und schwer, der Geist sortiert und fein leicht. Das war nicht einfach eine gute, es war die eine gute Entscheidung, den Sport wieder in mein Leben zu lassen. »Hereinspaziert. Herzlich willkommen! Schön, dass du da bist. Und, ja, gerne darfst du auch eine Weile bleiben.« Mein Oberkörper ist immer noch verklebt und pflasterbedeckt, deswegen hebe ich mir das nicht ganz komplikationsfreie Duschen für zu Hause auf. Der Fußmarsch zurück ist Wuppertaler Schwebebahn mitten in Berlin. Ich habe Rückenwind – Auftrieb aus Endorphinen und Serotonin, oder wie auch immer die ganzen fürs Glück verantwortlichen Hormone heißen. Das Tolle daran: Die frühlingsfrische, ja, echt dufte Laune hält an. Morgen wieder, nehme ich mir vor. Mehr noch: An diesem Abend kommt der Wunsch zur Welt, dass ich mir ab jetzt jeden Tag ein bisschen Sport gönne. Genau, gönne. Sport, als wesentliches, als mein Mittel zu dem einen Zweck, dass es mir gut gehen möge, meine Gemütslage stabil und ausgeglichen bleibe und ich aktiv etwas für mein Gesundbleiben tun kann. Endlich nicht mehr ausgeliefert. Nicht mehr nur zusehen. Selber machen. Do it yourself fürs persönliche feeling good, ums mal schön deutsch auszudrücken.
Solange der Heilungsprozess allerdings noch nicht die erste große Hürde genommen hat, solange die Narben noch nicht alt genug sind, so lange muss ich die Sporteinheiten ausschließlich mit Rad und Crosstrainer gestalten. Da Abwechslung
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