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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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Schnitt bekommen hat. Ich lasse mich auf einem altmodischen, abgewetzten Sitzmöbel nieder und registriere den Muff von vielen Jahren schlechter Belüftung in den Vorhängen. All das tritt augenblicklich in den Hintergrund, als sich mir eine sehr freundliche Verkäuferin mit knallroten Locken und ebenso auffallendem Lippenstift zuwendet. Wir verziehen uns in eine Kabine mit Sichtschutz und Spiegel. Sie erläutert und zeigt mir die Unterschiede zwischen europäischem, indischem und asiatischem Haar. Und sie findet direkt ein paar hübsche Exemplare. Indisches Haar kommt von seiner Struktur dem meinen sehr nah. Das zweite Modell ist es. Der Preis: weniger als die Hälfte von dem, was die polternde Perücken-Putte haben wollte. Das Netz schmiegt sich sehr gut an. Und es ist an einigen Stellen elastisch, was wichtig ist für den guten Sitz auch ohne Naturhaar drunter. Die Haare sehen tatsächlich so echt aus, als wären es meine eigenen. Außerdem werden noch Klemm-Kämmchen eingenäht, dass ich die Perücke am eigenen Haar festklipsen kann. Zumindest solange da noch etwas zum festklipsen ist. Was für ein feierlicher Moment. Ich habe meine Frisur für das nächste halbe Jahr gefunden.

19. 
Prof. Dr. Fragwürdig
    Den Ort, an dem ich meine Chemo-Zyklen bekomme, habe ich bisher noch nicht ausgemacht. In die Ambulanz, die ich durch Bianca kenne, würde ich zwar grundsätzlich gerne gehen. Allerdings hat mir Dr. Lauckmann vorgeschlagen, mich aufgrund des hohen Publikumsverkehrs doch vielleicht lieber diskreter in einer privaten Praxis behandeln zu lassen. Um diese Idee zu besprechen und auch eine zusätzliche Expertenmeinung einzuholen, habe ich, wenige Tage vor der ersten geplanten Infusion, einen Termin bei einem Mann, der mir als renommierter Professor und Spezialist auf seinem, also leider auch meinem Gebiet empfohlen wurde. Ich habe zwar ziemlich schlecht geschlafen, weil mich wieder so ein fieser und so realistischer Du-bist-bald-tot-Traum geplagt hat. Aber ich freue mich auf das Gespräch. Wenngleich ich nicht den geringsten Zweifel an Dr. Lauckmann habe, baue ich darauf, dass mich ein vonseiten eines Professors untermauerter Behandlungsvorschlag in der Richtigkeit und Wichtigkeit der Sache bestärkt. Und mich das wiederum motiviert und meine Mitarbeit bei der Behandlung fördert. Immerhin dröhnt man sich ja nicht alle Tage mit so einer Biochemie-Keule zu. Je besser ich als Patientin mitmache, umso besser kann meine ganz spezielle intravenöse Zellkur auch wirken. Sagen alle, die es hinter sich haben. Und die für die Forschung daran viel Geld bekommen. Und – noch ein Grund zur Vorfreude – ich hatte noch nie eine Audienz bei einem Professor. Huh-huh. Aufregend.
    Der Trakt, in dem sich sein Büro befindet, ist anders als viele anderen Abteilungen des Krankenhauses, richtig modern. Neue Fußböden, schicke Wartestühle, die letzte Renovierung liegt noch nicht allzu lange zurück. Als ich aufgerufen werde, schlucke ich noch einmal kräftig gegen diesen dicken, schmerzvollen Klumpen in meinem Hals, den ich seit dem Aufwachen spüre – doofer Depri-Tag heute – und straffe die Schultern. Durch ein Vorzimmer, in dem die dazugehörende, prähistorisch frisierte Dame sitzt, betrete ich ein riesiges, lichtdurchflutetes Büro. Hier macht es bestimmt besonders Spaß, Professor zu sein. Er selbst ist von durchschnittlicher Größe und Statur, allerdings mit unterdurchschnittlichem Haarwuchs. Ich befinde, dass spärliches Haupthaar erstens nichts ist, worüber gerade ich Witze machen sollte, und zweitens so ein glänzender Oberkopf bei Wissenschaftlern extrem was hermacht. Im obligaten weißen Kittel gekleidet, streckt er mir zum Gruß seine Hand entgegen und erwidert meinen festen Druck erfreulicherweise mit ähnlicher Intensität und Kraft. Der Einstieg wäre geschafft. Meine Nervosität legt sich etwas. Nur der Schluckwiderstand will noch nicht so recht weichen.
    An seinem großen, runden Besprechungstisch nehmen wir Platz. Ich auf der einen, er auf der anderen Seite. »Was führt Sie denn zu mir?«, möchte er wissen. »Ich bin in Behandlung bei Dr. Lauckmann. Und auch wirklich sehr zufrieden. Ich würde gerne heute Ihre Zweitmeinung zu der mir bevorstehenden Therapie hören. Und auch mit Ihnen darüber sprechen, ob ich die Chemo-Zyklen eventuell in Ihrer Praxis bekommen könnte.« – »Aha. Ja. Das würde schon gehen. Wie geht es Ihnen denn?« Ich räuspere mich kurz. Und schlucke zwei-, dreimal gegen diesen Knoten.

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